Montag, 27. August 2012

Der Bürgerbrunnen: Ein Marktbrunnen, der keiner sein durfte

Der Bürgerbrunnen im Kontext des Maifestes 2013
Früher war ein Brunnen der Mittelpunkt eines jeden Ortes. Dort traf man sich, nutzte ihn als wichtige Trinkwasserquelle, plauschte und handelte. Somit waren Brunnen nicht nur Quellen für Trinkwasser, sondern auch für Kontakte. Noch heute sind Brunnen ein Sinnbild für vergangene Zeiten.
 
Dieser Beitrag über ein weiteres Denkmal in Osnabrück, dem heute sogenannten Bürgerbrunnen von Hans Gerd Ruwe, setzt sich nicht nur damit auseinander, wie ein Brunnen Geschichte abbildet, sondern selbst zum geschichtsträchtigen Bestandteil einer Stadt werden kann. Das Figurenprogramm des Bürgerbrunnens ist ausschließlich gegenständlich und zu dreiviertel plastisch verhaftet. In Anlehnung an 1200. Jubiläums der Stadt (1980) besteht er aus 1200 Einzelteilen, eben eines für jedes Jahr der Stadtchronik.
Der Bürgerbrunnen (ohne Maifest) auf dem Platz des Westfälischen Friedens

Der Bildhauer und Grafiker Hans Gerd Ruwe wurde 1926 in Osnabrück geboren. Für seine Heimatstadt Osnabrück schuf er zahlreiche Plastiken und Brunnenanlagen. Zu seinen bekanntesten Werken zählen neben dem Bürgerbrunnen (1986, Platz des Westfälischen Friedens), die Waschfrau (1983, am Vitihof) und die Steckenpferdreiter (1978/79, Nordostseite der Stadthalle zum Neuen Graben).

Der Bürgerbrunnen ist nicht einer bestimmten Person gewidmet, sondern den Bürgern und Bürgerinnen der Stadt Osnabrück und den geschichtlichen Ereignissen in ihrer Stadt. Wie schon erwähnt befasste sich Ruwe in seinem Brunnenentwurf mit der Stadtchronik und bildet zwei Wesentliche Ereignisse in der Osnabrücker Geschichte ab:

1. Die Verleihung der Stadtrechte:

Auf der Bildsäule im Hauptbecken thront der Kaiser Friedrich I. (auch bekannt unter der ital. Bezeichnung Barbarossa). Mit der Verleihung der Stadtrechte war es den Osnabrückern möglich einen Schutzwall um ihre Stadt ziehen zu dürfen. Sie waren nun nicht mehr auf den Schutz von außerhalb angewiesen und durften ihr eigenes Recht innerhalb der Stadt sprechen. Damit begann auch die Aufzeichnung der Stadtchronik und den Geschehnissen innerhalb der Stadt.

Kaiser Barbarossa mit Urkunde

Auch im Bürgerbrunnen zieht sich der Schutzwall um die Stadt (in gebündelter Form) herum, angebracht auf einem Rad, dem Stadtwappen Osnabrücks.
Gleich zu Füßen des kaiserlichen Standbildes sind die Marien-, Katharinen-, und die Johanniskirche sowie der Dom abgebildet. Gleich danach folgen die vielen Bürgerhäuser, das Rathaus und Klöster, welche in künstlerischer Abstraktion leicht verzerrt und versetzt übereinander in aufsteigender Form angeordnet sind. Vor den Häusern tummelt sich das Leben auf dem Markt.

Marktszene
Tuchhändler preisen ihre Ware an, Vieh wird verkauft und Frauen holen Wasser vom Brunnen. Ein Kinderreigen hat sich gebildet und tanzt, während der Stadtbüttel in seiner Amtstracht neue Amtshandlungen verkündet.
Ein Ehepaar steigt gerade aus der vornehmen Postkutsche und flaniert über den Markt: Der damalige Jet-Set. Wichtig für Osnabrück ist außerdem die Hase. Auch sie hat Ruwe samt Müller abgebildet, der gerade sein Mehl zum Markt bringt. (Korn war vor der Entdeckung von Mais, Kartoffeln und Reis eines der Hauptnahrungsmittel.)

Außerdem zu sehen ist ein Detail von der Begehung des Schnatgangs (vergleichbar mit unserem heutigen Katasteramt).

2. Pest und Tod

Brunnendetail - Pest und Tod

Doch wie immer hat das Leben zwei Seiten: Krankheit, Folter, Elend und Tod. Sie bilden den zweiten Schwerpunkt in Ruwes Figurenprogramm und nehmen die Hälfte des unteren Teils der Brunnenstele in Anspruch. Zu sehen sind zwei Zeugnisse vom sogenannten Hexenwahn, der auch in Osnabrück tobte: Eine Wasserprobe einer vermeintlichen Hexe in der Hase und die Verbrennung einer verurteilten Hexe mitten auf dem Marktplatz vor vielen Zuschauern. Qualvoll ebenfalls sind die Räderung eines Mannes und die Enthauptung des Schneiders Lenethuns sowie hunderte von Pesttoten. Die Pest löste eine der schlimmsten Judenpogrome in Osnabrück aus und kostete vielen unschuldigen Menschen das Leben. Über allem steht der Tod, der in einer einzigen, langsamen Bewegung mit seiner Sense die Toten und ihre Seelen ins Reich der Unterwelt zieht.

Schon in seinem Entwurf für den Marktbrunnen, machte sich Ruwe Gedanken über das Vergessen und Erinnern an längst vergangene und geschichtsträchtige Zeiten:

„Das Gesicht des Osnabrücker Marktplatzes zeigt sich in der Vergangenheit, auf historischen Zeichnungen oder Stichen, immer wieder mit einem Brunnen, der sich dann gern als unentbehrliches Kleinod in die Häuserfamilie der Bürgerstadt einbettete. 
Die Rolle des Marktbrunnens war für damalige Zeit gar nicht wegzudenken, denn er war nicht nur ein zentral gelegener Wasserlieferant, sondern auch in seiner Umgebung ein wichtiger Treffpunkt der Bürger. Tägliche Ereignisse und Probleme wurden hier gemeinsam bewältigt. Aber auch Hinrichtungen vollstreckt, Preise ausgehandelt und vieles mehr; es war eben der Nabel der Stadt. 
Doch eines Tages mußte aus irgendwelchen Gründen (vielleicht Seuchengefahr, Vergiftung oder einfach nur aus Platzmangel) das schöne Bauwerk des Brunnens abgetragen werden.

Durch den allmählich immer größer werdenden Zeitabstand geriet alles in Vergessenheit. Einige Zungen behaupten heute sogar, es sei niemals ein Brunnen auf dem Marktplatz gewesen und eine Existenz undenkbar. […] (aus dem Archiv der Kunsthalle Dominikanerkirche.)

Detailliert beschreibt Ruwe den Aufbau seines Marktbrunnens und seine Intentionen:

Aufgabe und Zweck des Brunnens ist jetzt in erster Linie Repräsentation in Verbindung damit die Erinnerung an eine geschichtsreiche Zeit bei der Bevölkerung wachzuhalten. Auch sollen viele fremde Besucher mit der Stadtgeschichte vertraut gemacht werden; denn ein plastisches Bild prägt sich oft besser ein als ein geschriebenes Wort.Der vorliegende Entwurf setzt sich aus drei ungleich großen Becken zusammen. Zwei gediegene Überläufe verbinden die Wasserschalen auf eine eigene Art, was sicher auch ein besonderer Anziehungspunkt für die jüngeren Bürger sein könnte.

Den Schwerpunkt der Gestaltung bildet im Hauptbecken eine Bildsäule, die auch gleichzeitig Wasserspender ist. Der bewußt niedrig gehaltene Wasserablauf ist deshalb so geplant, um einer Zerstäubung des Wasserfilms durch evt. Seitenwinde vorzubeugen. 


Enthauptung des Schneiders Leneturn
Barbarossa auf der Spitze des Brunnens
  
Die dreiviertel plastisch dargestellten Motive der Säule zeigen im unteren Bereich Volksszenen aus der Alltagswelt des Mittelalters, wie Tuchmarkt, Viehmarkt und Kinderspiele, dann Schicksalhaftes, wie Pest und Hinrichtungen durch Schwert und Feuer. Weiter sieht man Bürgerhäuser, Straßenzüge, Klöster und Kirchen.
Es ist ein Stadtbild in gebündelter Form. Als Bekrönung der Stadtsäule zeigt sich Friedrich Barbarossa mit der Urkunde, die es der Stadt erlaubt, sich durch eine Umfassungsmauer zu schützen. Durch Einsetzung eines Gogerichts erhält Osnabrück später eine eigene Gerichtsbarkeit, als bekanntes Symbol wird hierfür das Bild des Löwen präsentiert.
Der aufgeblähte Kaisermantel hüllt sich wie ein Schutz um die Stadt der Bürger, sozusagen als Kaiserliche Garantie der damaligen Zeit.
Der Müller an der Hase und der Schnattgang

Stimmung und Aufbau sind trotz einiger derber, bzw. makab[e]rer Szenen feierlich und festlich, eben dem mittelalterlichen Treiben entsprechend, aber mit gegenwärtigen Gefühlen nachempfunden. Auf diese Weise würde der Brunnen mit dem Rahmen der historischen Atmosphäre verschmelzen. Er soll als plastisches Geschichtsbuch der kristallisierte Kern der traditionsreichen Stadt Osnabrück sein.


Was ist Geschichte, was hat Bestand?

Ruwe konstruierte drei Brunnenschalen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) in seinem bronzenem „Geschichtsbuch“ in denen Wasser wie die Zeit dahinfließt. Das, was Gegenwart ist, war einmal die Zukunft und wird ganz schnell einmal Vergangenheit sein. Damit verdeutlicht er etwas Wesentliches: Es besteht immer eine wechselseitige Beziehung von Erinnern und Zeit. Durch unser Gedächtnis haben wir überhaupt erst eine Vorstellung von Zeit, können abstrakte Vorstellungen und Zeiteinteilungen (in Tagen, Jahren, Vergangenheit, Gegenwart, etc.) abrufen. Durch unsere Erinnerungen haben wir auch die Fähigkeit uns eine Zukunft vorzustellen. Erinnerungen, die wir uns wachrufen, werden für uns wieder formbar und zugänglich. Dadurch wird auch der Emotionsgehalt unserer Erinnerungen beeinflusst, der bestimmt, woran wir uns am liebsten erinnern und was wir vergessen. Alles das, was wir vergessen haben, uns verloren gegangen ist bzw. nicht genau überliefet ist, hüllt Ruwe durch sein Wasserspiel in einen „Schleier der Geschichte“.

„Nach Auslobung des Wettbewerbs für einen Marktbrunnen und termingerechtem Eingang entsprechender Entwürfe entschied das Preisgericht auf seiner Sitzung am 8. August 1983 einstimmig, daß ein erster Preis nicht benannt werden kann, der 2. Preis jedoch mit großer Stimmenzahl dem Entwurf des Osnabrücker Künstlers Hans-Gerd Ruwe zugesprochen werden könne.“ (Dr. Peter Koch in "Der Osnabrücker Bürger", 1986)

Die Geschichte vom Marktbrunnen der keiner sein durfte

Die Geschichte des Brunnens beginnt aber bereits im Sommer 1982: Die Bürgervereine beschließen Geld für einen Marktbrunnen zu sammeln. Der Stadtrat spricht sich dafür aus, einen Brunnen aufzustellen, sofern die Bürgervereine das dazu erforderliche Geld zusammen gesammelt hätten. (Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), 23.02.1985, S. 11 (Stadt Osnabrück) 

Im Winter 1982/83 scheiterte jedoch das erste Brunnenmodell für den Marktplatz, das eine private Spendergemeinschaft vorgesehen hatte: „Das schmiedeeiserne Gebilde (Abb. Rechts unten8), über 3 Meter hoch, wurde bereits im Vorfelde seiner versuchsweisen Platzierung auf dem Markt angegriffen und kritisiert, daß die Mäzene schon zu diesem Zeitpunkt Abstand von ihrer Planung nahmen.“  (Koch, "Der Osnabrücker Bürger", 1986)

Da die Bilanz der „Aktion Marktplatz“ (OZ-Aktion vom 7.02.1983: „Wie würden Sie den Marktplatz gestalten?“) aber vereutlichte, dass sich die Osnabrücker einen Brunnen auf ihrem Marktplatz wünschten (652 Leser haben Vorschläge zugesandt, darunter stimmten 563 für einen Brunnen, 89 gegen einen Brunnen), setzte sich bald die Arbeitsgemeinschaft der Osnabrücker Bürgervereine mit einem allgemeinen Spendenaufruf mit Brunnenlotterie dafür ein, die notwendigen Mittel für die Durchführung eines offenen Künstlerwettbewerbs aufzubringen. Es wurden dabei fast 240 000 Lose verkauft.

„Daraufhin wurde zunächst eine breitangelegte Brunnenkommission begründet, bei deren Zusammensetzung alle an dieser öffentlichen Angelegenheit interessierten Kreise angesprochen wurden. Die Kommission, an der auch neben den Bürgervereinen der Stadt, der Museums- und Kunstverein Osnabrück maßgeblich beteiligt war, beschloß einen offenen Wettbewerb auszuschreiben und für das Preisgericht eine Jury zu bilden, die die abgebildeten Entwürfe beurteilen sollte.“
(Dr. Peter Koch in "Der Osnabrücker Bürger", 1986) Fachleute wurden dabei aber nicht zu Rate gezogen, erst als die Ausschreibung fertig war, wurde ein Vertreter der Künstler hinzugezogen.
Diese „Form der Ausschreibung und der Unduldsamkeit gegenüber einem angemessenen künstlerischen Stimmrecht in der Jury“ (Artikel aus der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) vom 11.03.83) hatte aber zur Folge, dass die organisierten Bildhauer im Bund Bildender Künstler (bbk: Bezirksgruppe Osnabrück) darin keine Gewährleistung von Chancengleichheit sahen und sich nicht am Wettbewerb für einen Marktbrunnen beteiligen wollte. Die „Osnabrücker Künstler befürchten, daß von Bürgervereinen sowie vom Museums- und Kunstverein „wieder nur Oberflächliches und Gefälliges bevorzugt“ werde.“ Doch schließen sich Kunst und Gefälliges immer kategorisch aus? Oberflächlich blieb es bei der Gestaltung des Marktplatzes auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil, es ging in die Tiefe:

„Nach Vergabe eines Gestaltungsauftrages an Hans-Gerd Ruwe und dessen Arbeit an dem Brunnenprojekt konnte jedoch nach absehbarer Fertigstellung des Kunstwerks nicht an eine zügige Aufstellung auf dem Markt gedacht werden, da inzwischen der Rat mit Mehrheit zunächst eine räumlich Umgestaltung des Marktplatzes beschlossen hatte. Erst nach deren Verlauf sollte über den Aufstellungsort des Brunnens entschieden werden.“
(Artikel aus der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) vom 11.03.83) Als aber dann 1984 bis 85 die gesamte Osnabrücker Altstadt ein neues Kanalsystem bekam, war auch der historische Marktplatz davon betroffen. Denn Archäologen nutzen die Tiefbauvorhaben im Kanalisationsbereich für umfassende Untersuchungen und brachten aufschlussreiche stadtarchäologische Funde zu Tage. Durch diese Grabungsarbeiten zog sich jedoch die Umgestaltung des Marktplatzes bis weit in das Jahr 1985 hinein. „Es kam zu erheblichen Diskussionen über den nunmehr möglichen Aufstellungsort für den Brunnen, zumal im Rahmen dieser Arbeiten die Standorte der beiden früheren historischen Marktbrunnen entdeckt und ihre Bedeutung erkannt wurden.“ (Dr. Peter Koch in "Der Osnabrücker Bürger", 1986)

Unter Heranziehung von gutachterlicher Stellungnahme von Stadthistorikern wurde, entgegen dem Bürgerwillen entschlossen, den Marktplatz von einem Brunnen frei zu halten. Dort wo einst der alte Ratsbrunnen gestanden hat, ist nun ein Brunnendeckel in Form des Osnabrücker Stadtwappens eingelassen. Von diesem Standpunkt aus kann man nun den „ehemaligen“ Marktbrunnen erkennen.

Vom Marktbrunnen zum Bürgerbrunnen

Aber, „Marktbrunnen heißt er nicht mehr. Er kommt nicht auf den Markt. Ruwe-Brunnen ist nicht richtig.“ „Der Marktbrunnen, wie der von Hans-Gerd Ruwe geschaffene Brunnen ursprünglich hieß, war für den zentralen Platz, den Markt, gedacht.“ „Der richtige Namen für den Brunnen ist Bürgerbrunnen. Die Bürger haben ihn gewollt, bestellt und bezahlt. Und außerdem erzählt er in einem anspruchsvollen Figurenprogramm die Geschichte der Stadt und der stadtbürgerlichen Freiheiten.“ (Zitate von Heinrich Witte 1986 in: „Der Osnabrücker Bürger“)

Dieses Zitat, eines Mitarbeiters der Osnabrücker Stadtverwaltung zeigt deutlich, dass Ruwes Marktbrunnen keiner mehr ist. Er ist durch die rege Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zum Bürgerbrunnen avanciert. Wodurch sich die Frage stellt, ob der Bürgerbrunnen, durch seine neue Standortlösung18, erneut seine Funktion verfehlt hat? Als zukünftiger Rats- und Marktbrunnen gedacht, gestaltet und entworfen, wurde Ruwes Brunnenanlage samt Stadtgeschichte aufgrund eines Stadthistorischen Gutachtens vom Marktplatz, in die Peripherie verbannt. Geht man so mit dem Bürgerwillen um? Immerhin steht er dort, wo einst das alte Rathaus gestanden haben soll.

Als Standortlösung (Rainer Hohn) wurde der „Platz des Westfälischen Friedens“ gewählt, ein Innenhof südlich des Marktplatzes. Kaiser und Löwe haben ihre Blicke gen Marktplatz gerichtet. Als blickten sie sehnsüchtig auf den Ort, für den sie einst gedacht waren: Im „Nabel der Stadt“. Konzentrisch führen nun rote Pflasterbänder vom Marktplatz auf den Brunnen zu. Sie sind als Sichtbeziehung vom Markt her zu deuten. Eine letzte Erinnerung an die eigentliche Intention von Stadt, Bürgerschaft und Künstler? „In dem östlichen Rund sind Sitze angeordnet, das andere Rund steigt in fünf Stufen zur oberen Ebene an, so daß der Betrachter des Brunnens die Geschichte der Stadt und ihrer Bürger im Drumherumgehen auf allen Ebenen ablesen kann.“ Zuvor stand auf dem Platz des Westfälischen Friedens eine kontemplative Frauenfigur („Die Knienende“ von Fritz Salinski).






Die Frauenfigur von Salinski, die zuvor auf dem "Platz des Westfälischen Friedens stand.
Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), 01.08.1986
Überdimensional: Das große Bronzebecken ist über drei Tonnen schwer. NOZ, 01.08.1986
Die Bronzefigur des Kaiser Friedrich I. Barbarossa vor seiner Befestigung auf der Brunnenstele
 Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), 01.10.1986, S.9 (Stadt Osnabrück)
Fest zur Einweihung des Bürgerbrunnens. Die Besucher drängen sich um den Bürgerbrunnen.

Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), 02.10.1986, S.9 (Stadt Osnabrück)

Ein Brunnen, an dem sich die Geister scheiden:

Mit der Errichtung des Bürgerbrunnens 1986 fand die Geschichte aber noch kein Ende. Kontrovers gestritten wurde seit dem 20.05.88 im Kulturausschuss über eine angemessene Inschrift der Bronzetafel, die als Erläuterungstafel für den Bürgerbrunnen dienen sollte: Sollen Erläuterungstexte historisch korrekt (Heinrich Witte Stadtverwaltung) oder beschönigend (Liese-Lotte Deneke CDU) für ihren jeweiligen Standort ausfallen? Die Entscheidung fiel im Falle des Bürgerbrunnens auf historisch korrekt: Am 24.08.1988 wurde im Kulturausschuss der Erläuterungstext von Heinrich Witte (der oben zitierte Mitarbeiter der Stadtverwaltung) genehmigt:
Der Erläuterungstext des Bürgerbrunnens von Heinrich Witte. Er skizziert gesellschaftliche Ereignisse der Stadtgeschichte nach. Die Tafel aus Bronze war einst am großen Brunnenbecken angebracht, wurde aber aufgrund von Vandalismus abmontiert

Knapp 2,5 Jahre nachdem der Brunnen übergeben und bezahlt wurde bekam die Arbeitsgemeinschaft der Osnabrücker Bürgervereine, am 17. März 1989 eine Klage vom Bildhauer Ruwe, da er Nachforderungen von 89 139,39 DM für den Bürgerbrunnen verlangte. Doch die Bürgervereine hatten in ihrer Wettbewerbsausschreibung einen Brunnen zu einem bestimmten Preis bestellt: Die Arbeitsgemeinschaft hatte ihm 35 000 maximal 40 000 DM angeboten und das damalige Angebot des Künstlers habe somit knapp unter der festgesetzten Obergrenze gelegen. Durch Änderungen und zusätzliche Gussarbeiten, sei die Gesamtsumme von 300 000 DM auf 310 000 DM gestiegen. Zusätzlich erklärte Ruwe, dass ihm von seinem Honorar von 144 000 DM, bis dato nur 75 000 DM ausgezahlt wurden. Am 19. Mai 1989 entschied dann die 9. Zivilkammer des Landgerichts, dass die Bürgervereine weitere Spenden von 45 000  DM, besser 50 000 DM zu sammeln hätten, um die noch ausstehenden Honorarforderungen zu tilgen. Damit erfolgte ein Vergleich von 89 139, 63DM auf 50 000 DM. Davon seien 30 000 DM sofort fällig gewesen und 5000 DM bis zum Ende des Jahres. Der Rest bis zum Dezember 1990. Diesem gerichtlichem Vergleich stimmten die Bürgervereine am 13. Juni 1989 zu und sammelten noch einmal Spenden um die ausstehenden Schulden zu tilgen.

Wo ist Friedrich?

Ist der Bürgerbrunnen noch immer ein Brunnen von und für die Bürger? Wie nehmen die Osnabrücker ihn wahr? Hier ein paar Impressionen vom „Alando Maidorf 2013“. Findet ihr den Bürgerbrunnen bzw. den Kaiser Friedrich I. Barbarossa?

 Abbildungen // Alando Palais

„Da war ein Brunnen?“

Vor allem die Befragung von jungen Besuchern zeigte mir, dass der Bürgerbrunnen im Feierrausch gar nicht wahrgenommen wurde.

Bei Tageslicht hingegen zeigen sich Löwe und Brunnenstele deutlich. Sie sind in die Bühnenkonstruktion geradezu hineingearbeitet.

Der Brunnen ist also irgendwie noch immer „Mittelpunkt“ des öffentlichen und bürgerlichen Lebens, zumindest zeitweise. Um ihn herum wird (manchmal) getanzt und damit ist er auch eine Art „Quelle für Kontakte“. Die Brunnenfiguren zeugen nicht nur von einer längst vergangenen Zeit, sondern sind auch stumme Augenzeugen unserer heutigen Zeit.

Die Bühne besteht nicht nur aus einem Tanzparkett; sie ist regelrecht aufgebockt auf die Höhe der drei Brunnenschalen. So Mancher hätte zumindest über den Löwen stolpern können!? Meistens aber fristet der Bürgerbrunnen ein eher einsames Leben, abseits des Geschehens auf dem Markt.

Denkt ihr, dieser Brunnen bräuchte auch im Alltag mehr Bürger um ein überzeugender Bürgerbrunnen zu sein? Identifizieren sich die Osnabrücker nach fast 30 Jahren mit IHREM Brunnen, oder sind sie ihm gegenüber eher gleichgültig eingestellt?

Die Partizipation der Osnabrücker Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung ihres neuen Marktplatzes Die „Aktion Marktplatz“: „Wie würden sie den Marktplatz gestalten?“ der „Neuen Osnabrü-cker Zeitung (kurz NOZ) vom 7.02.1983, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie es den Bürgern und Bürgerinnen ermöglicht wird, an der Gestaltung des Osnabrücker Stadtbildes teilhaben zu können.

So wurde unter anderem öffentlich, anhand von Zusendungen und Leserbriefen die Fragestellung diskutiert: „Warum nicht den klassischen Straßenbrunnen restaurieren und auf dem Markt aufstellen, der früher neben der Bischöflichen Kanzlei seinen Platz hatte und heute - wenn auch beschädigt – im Vorgarten Kleine Domsfreiheit 23 steht?“

Die Bilanz der „Aktion Marktplatz“ (12.02.1983) zeigte, dass sich eine breite Mehrheit für einen Brunnen aussprach. Die Frage, wie er aussehen sollte stand allerdings noch offen. „Viele wollen „höchstens ein schlichtes Wasserspiel“, noch mehr halten einen kunstvoll histori[s]ch angepaßten Brunnen“ für angemessen.“ „So mancher Osnabrücker wäre wohl auch bereit, sich an der Verwirklichung eines Brunnens finanziell zu beteiligen.“

Insgesamt haben 652 Leser ihre Vorschläge der NOZ zugesandt, darunter stimmten 563 für einen Brunnen, 89 gegen einen Brunnen. 96,3 % der Leser und Leserinnen wollten vor allem einen autofreien Marktplatz. 295 Leser und Leserinnen stimmten für einen kunstvoll gestalteten Brunnen und 268 für einen schlicht funktionellen Brunnen.

Glosse zur Standortlösung

„Südlich des Marktes eröffnet sich hinter der selbstbewußten und qualitätsvollen Architektur der fünfziger Jahre an jeder Stelle, an der das älteste Rathaus, das bereits 1244 erwähnt wurde, das Legge- und das Akzisehaus standen, ein Innenhof. Dieser schöne, meditative Platz neben der Stadtbibliothek und unter dem Fenster des Stadtkämmerers ist zu einem Brunnenhof besonderer Art geworden. Die Bauverwaltung hat eine Gestaltung ermöglicht, die den Brunnen, der so etwas wie ein in Bronze gegossenes Geschichtsbuch der Stadt und der bürgerlichen Freiheiten ist, wie auf einem ansteigenden Forum lesbar gemacht. Die Gestaltung des Platzes in der Verschmelzung von Funktion, Material und Form ist die kostbare Fassung des Kunstwerkes selbst.“

Rainer Hohn

Ein Marktbrunnen der keiner sein durfte und ein Bürgerbrunnen abseits des öffentlichen Lebens. Der Brunnen erzählt von „bürgerlichen Freiheiten“. Letztendlich entschied jedoch ein Verwaltungsapparat wo der sogenannte Bürgerbrunnen zu stehen hat. War es ein politischer Fehler ihn vom Marktplatz zu verweisen nur um eine freie Sicht zwischen Dom und Marienkirche zu wahren?

Ist der neue Standort wirklich eine bessere Lösung? Immerhin hat Ruwe versucht das Leben rund um einen Marktbrunnen herum zu gestalten und ihn nicht für einen „meditativen“ Platz geplant. Die Möglichkeit der Osnabrücker ihr eigenes Recht zu sprechen ist ein wichtiges Privileg. Allerdings zeigen die Geschichten des Bürgerbrunnens, der Hexenverfolgung und des Judenpogroms das Rechtsprechung und richtige Entscheidungen nicht dasselbe sein müssen. Der Löwe, als Sinnbild von Recht und Gerechtigkeit erweckt den Eindruck, als wäre er sich dessen bewusst.


Carolin Bruns
für Erinnern und Vergessen



1 Kommentar:

  1. Toller Artikel, wieder etwas über meine schöne Heimatsstadt gelernt. Liebe Grüsse

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