Dienstag, 27. August 2013

Eine Zeremonie als Decke


Die Last Post im belgischen Ypern

„Wo laufen die denn alle hin?“, fragt mich mein Begleiter und wir beschließen uns treiben zu lassen. Folgen den strömenden Menschen vom Marktplatz über die gepflasterte Straße, vorbei an belgischer Schokolade und sich in der Abendsonne besinnenden Menschen zu, auf ein Tor, dass sich mit seiner sperrigen Masse zunächst jedes Zugangs zu verwehren scheint, uns dann aber doch aufnimmt in seine schützende Halle, in der es nun brummt wie in einem munterer Bienenstock.
Ein letztes Auto bahnt sich noch zwischen den sich am Rand versammelnden Menschen hindurch den Weg in die Stadt, biegt rechts ab und verschwindet. Für die nächsten Minuten wird keines mehr kommen, die Polizei hat den Verkehr zum Stillstand gebracht und auch das Summen der Bienen verhallt langsam im Gewölbe der Halle. Plötzlich ist es feierlich.

Die Bläser der freiwilligen Feuerwehr von Ypern spielen den Stehenden die Töne der Last Post entgegen und rufen diejenigen nach Hause, die nicht kommen werden, da sie schon seit über 100 Jahren nicht mehr zurückgekehrt sind.

Um die Stehenden stehen sie - rund 50 000 Namen in weißem Stein erfüllen die Halle mit körperloser Präsenz - während die Anderen ihrer Abwesenheit im Schweigen einen Raum eröffnen. Es sind diejenigen Soldaten des Commonwealth, die bis 1917 auf den morastigen Feldern vor den Toren der Stadt fielen und deren Körper bis heute nicht gefunden sind. Sie haben kein Grab, außer den Feldern auf denen sie für König, Vaterland und für diese Stadt gestorben sind.
Schon oft wurde gesagt, wie sinnlos und umsonst dieser Tod war, wie grausam und gemein, dass man es nicht schreiben kann ohne das Gefühl, auch diese Worte würden schon im Moment des Niederschreibens ganz dünn und flüchtig werden.

Im Menin Gate haben nun diese Grablosen, einen Ort an dem seit 1929 jeden Abend um 20 Uhr der Verkehr angehalten und ihrer in einer mal kürzeren, mal längeren Zeremonie gedankt und gedacht wird. Tatsächlich, jeden Abend. Auch unter deutscher Besatzung im 2. Weltkrieg, auch da gab man die Zeremonie der Erinnerung nicht preis, sondern führte sie fort, in Groß Britannien.
Unter dem Tor singt ein Chor ein trauriges Lied und auch wir fühlen uns plötzlich ganz schwer. Tauschen betretene, zuweilen befremdete Blicke. Gerade noch hat uns die Neugier der Reisenden an diesen Ort getragen, schon gehen wir auf in dem, was um uns geschieht.
Ein Mann spricht einige Zeilen:

„They shall grow not old, as we that are left grow old: Age shall not weary them, nor the years condemn. At the going down of the sun and the morning, We will remember them.“

Ein Versprechen, dass der Dichter Laurence Binyon's den Toten der Marne Schlacht 1914 gewidmet hat und das in Ypern bedingungslos Abend für Abend eingelöst wird.
Sonnenstrahlen fallen durch drei Öffnungen von oben in die Halle und tauchen die Namen in Licht. Militärische Töne, Schweigen, Kränze, Worte, Fahnen, Junge, Alte, Bilder, Namen, Licht und Schatten.
Es summt wieder, ein Auto fährt aus der Stadt durch das Tor, Digicams werden gezückt und Menschen nehmen vor Namen Aufstellung. Die Traurigkeit ist durch die Löcher geflohen und so der Bewegung gewichen, innerer und äußerer. Der Pub nebenan ist voll . Um die 500 000 Touristen besuchen die Stadt Ypern und Umgebung jährlich, um die Schlachtfelder des ersten Weltkrieges zu sehen, die längst wieder grüne Hügel sind, auch wenn diese dem Wissenden noch in ihrer Form, das Geschehen preisgeben. Churchill sagte einmal er hätte die vollkommen zerstörte Stadt am Liebsten als Ruine erworben und erhalten. Ypern steht wieder, vollkommen. Was also sehen?

Auf dem Rückweg vom Tor entdecken wir einige Andenkenläden, die man eigentlich nicht entdecken zu braucht, weil sie an der Hauptstraße zum Tor liegen, für die wir auf dem Hinweg aber wohl keinen Blick hatten.

Die Mohnblume rankt sich über Taschen, Schnapsgläser und Kugelschreiber und der Umriss eines Soldaten marschiert ewig neben ihr her. Das kann man kaufen, damit verdient jemand Geld. Ich traue mich nicht, es wäre eine Kuriosität.

Ich würde es zeigen als Beweis dafür, dass es existiert, dafür, dass ich eine erfolgreiche Schlachtfeldtouristin gewesen bin und damit meine Freunde einmal ihren schüttelnden Kopf mit dem Satz: „Sowas gibts- oh man!“, darüber beugen könnten. Der Schatten des Soldaten ruft etwas in mir auf. Verzerrte Gesichter, fehlende Gliedmaßen, mühsam, mit sich parallel entwickelnder medizinischer Technik, mit Handwerk, zusammengehaltene Leiber von Versehrten des Krieges.

Die Spuren der Schlacht auf Körpern sind riesige Wunden, die niemals ganz heilen. Das was man nicht sieht, das Grauen, im Innern und Außen, hat das hier denn gar nichts zu suchen? Schließlich haben wir doch gerade an den Krieg und seine Toten erinnert, an sein Grauen und davor gemahnt? Haben wir? Oder haben wir einen Blick in die Lücke geworfen, die er reißt und diese mit gut platzierter Traurigkeit gestopft? Ist die überhaupt echt? Ich kannte da doch niemanden und trotzdem haben wir doch gerade alle die Lücke geschaut, geseufzt und gefühlt, wozu man uns aufgefordert hat und gegeben, was wir gerade hatten.

Auf der Homepage der „Last Post Association“ ploppt ein Fenster auf. 30 000 Mal wird 2015 die Last Post für die Gefallenen geblasen. Ein Buch ist in Arbeit, das Bilder rund um die Zeremonie und die Geschichten derer auf den Steinen vereinen soll. Erinnernde und Erinnerte werden einen gemeinsamen Umschlag erhalten. Die tägliche Erinnerungsarbeit selbst als erinnerungswert markiert werden. Countdown zählen bis zum Guinessbuch? Und danach?

Niemals vergessen, durch täglich erinnern, durch Disziplin, durch Organisation, durch Institutionalisierung. Im öffentlichen Raum, wird die individuelle Erinnerung angeregt sich zu rühren. Wird auch derjenige zu einem Teil der Erinnerungsgemeinschaft, der schon längst nicht mehr selbst erinnern würde, weil er weit danach geboren wurde.

Von Generation zu Generation wird so auch die Geschichte des Denkmals weitergegeben, dass so ein anderes Schicksal lebt, als so manch anderes, dessen Sinn schon längst im Fluss der Zeit verloren ging.

Im Museum entdecken wir sie dann doch noch: Die Körper, die Wunden, eine Ahnung von Grauen, den Schlamm und den Matsch. Aber keine Lücke und Trauer. Mehr Grusel und Erstaunen. Vielleicht, so denke ich, kann man den geschundenen Körper nicht betrauern? Vielleicht, brauchen wir dafür Zeremonien, etwas Heiles, Gebautes in das wir kontrolliert die Lücke des Schweigens setzen, die gerade so zu ertragen ist. Selbst an der völlig zerstörten Stadt Ypern, wenn Churchill sie erhalten lassen hätte, wäre vermutlich eine solche Zeremonie als Decke gebaut worden. Eine Decke, unter die Viele passen: Solche, die nur vorbeigehen, solche, die sich gezielt auf den Weg gemacht haben, solche, die es als Event konsumieren und solche, die ahnungslos hinzustoßen und etwas in sich entdecken, dass sie vorher nicht kannten.

Lisa-Katharina Weimar
für ERINNERN UND VERGESSEN 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen