Montag, 26. August 2013

Ein Denkmal für die Friedensforschung


Betritt man den Patio des Osnabrücker Ledenhofes, seit 2002 Sitz der Deutschen Stiftung Friedensforschung, und steuert auf den Eingang zu, bemerkt man die kleine Bronzeskulptur erst auf den zweiten Blick.
Sie hat etwa die Größe eines Gartenzwergs – durch den Betonsockel ist sie auf Augenhöhe gebracht -, besitzt eine schartige, aufgebrochene Oberfläche und zeigt Willy Brandt, den 4. deutschen Bundeskanzler, in typischer Pose: Eine Hand erhoben, die andere in der Hosentasche, den Blick konzentriert gesenkt.

Er steht recht unscheinbar einige Meter von der Außenmauer entfernt am Wegrand, den Blick auf die Wand gerichtet
Die Skulptur wurde am 17.3.2006 an ihrem neuen Standort eingeweiht - sie war der Stadt Osnabrück nach einer Ausstellung in der Kunsthalle Dominikanerkirche für den Preis von 15 000 Euro zum Kauf angeboten und auf die Initiative des damaligen Oberbürgermeisters Hans Jürgen Fip hin durch Firmen- und Bürgerspenden finanziert worden.

Der Schöpfer des 80 cm hohen Bronzegusses mit dem Titel „Willy Brandt – die kleine Skulptur“ ist Rainer Fetting, der vor allem für seine Malerei in den 80er Jahren bekannt ist. Der 1949 in Wilhelmshaven geborene Künstler teilte sich zu jener Zeit die Berliner „Galerie am Moritzplatz“ mit anderen Künstlern wie Helmut Middendorf, Bernd Zimmer und Salomé – die Gruppe wurde aufgrund ihrer dynamischen, befreiten Malerei als „junge Wilde“ bekannt. Auch die Skulptur Willy Brandts sowie die weiteren Bronzearbeiten, die Fetting seit 1986 anfertigte (mit Vorliebe Politikerbildnisse, neben Willy Brandt auch immer wieder Helmut Schmidt) tragen die dynamische Handschrift seiner Malerei.


Die Skulptur im Ledenhof ist nur eine von insgesamt 47 Ausführungen der Figur - neben der 3,40 Meter hohen Originalskulptur, die im Jahr 1996 im Willy-Brandt-Haus in Berlin aufgestellt wurde,


gibt es noch 44 weitere Miniaturen des großen Vorbilds (teilweise bunt bemalt -Abb.4-), sowie eine zweite große Bronze im Willy-Brandt-Park in Stockholm.

Fetting gibt an, seine Faszination für den Lebenslauf WillyBrandts habe ihn zu der Skulptur inspiriert. Um also dem Werk näher zu kommen, sollte man der Geschichte des Politikers einige Worte widmen.

Willy Brandt wird am 18. Dez. 1913 in Lübeck unter dem Namen Herbert Ernst Karl Frahm geboren. Seine uneheliche Herkunft wird ihn bis ins hohe Alter verfolgen; immer wieder wird sie in späteren Wahlkämpfen von konservativer Seite gegen ihn verwendet werden.
Durch seinen Stiefgroßvater kommt Herbert Frahm schon in früher Jugend mit der Politik in Kontakt. Bereits als SPD-Mitglied wendet er sich einem radikal sozialistischen Kurs zu; bald überwirft er sich mit der SPD und tritt der SAPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, bei.
Nach Hitlers Machtergreifung und dem Verbot der SAPD muss er ins norwegische Exil fliehen. Unter dem Decknamen Willy Brandt arbeitet er hier am Aufbau einer SAPD-Zelle – den Namen Willy Brandt wird er sich 1947 offiziell anerkennen lassen und bis zum Lebensende beibehalten.
Brandt arbeitet während des Krieges für die norwegische Regierung als Kriegsberichterstatter; nach seiner Flucht nach Stockholm bleibt er weiter journalistisch aktiv und arbeitet außerdem maßgeblich an der Annäherung er SAPD-Exilanten an die SPD mit.
Nach dem Krieg kehrt Willy Brandt nach Deutschland zurück und beginnt seine politische Karriere als SPD-Abgeordneter im ersten deutschen Bundestag. Große Popularität erringt er als Bürgermeister von Berlin (1957-66) durch sein entschlossenes Handeln während des Berlin-Ultimatums und nach dem Bau der Berliner Mauer, gegen den er vehement protestierte. Einige Jahre später macht er als deutscher Bundeskanzler (1969-74) durch seine Entspannungspolitik im Osten den Dialog zwischen Ost und West wieder möglich und die Berliner Mauer durchlässiger –1971 wird ihm für seine Ostpolitik der Friedensnobelpreis zugesprochen.
Die wohl bekannteste Geste seiner Annäherung an den Osten ist der „Kniefall von Warschau“ am 7. Dezember 1970 am Mahnmal des Ghetto-Aufstandes von 1943 (Abb. 5) – die spontane und emotional aufgeladene Geste fand weltweite Beachtung als wirkungsmächtiges Symbol der Vergebung für die deutschen Kriegsverbrechen und kann als modernes Denkmal betrachtet werden.
Im Alter gesundheitlich angeschlagen und zeitweise depressiv, bleibt Brandt bis kurz vor seinem Tode im Jahre 1992 politisch aktiv.

Bei der Betrachtung der zerfurchten Oberfläche der Willy-Brandt-Skulptur, die bis hin zu einer Verstümmelung der Finger geht, drängt sich dem Betrachter – ob von Fetting beabsichtigt oder nicht – der Gedanke an die zahlreichen Verletzungen auf, denen Brandt während seiner politischen Laufbahn ausgesetzt war – neben seiner unehelichen Abstammung wurden ihm auch seine Jahre im Exil immer wieder vorgeworfen.
Fetting selbst sagt über seine Arbeit (auf eine Kritik Gerhard Richters hin, die Figur sähe aus wie ein „Zombie“): „Ich habe nach einem eher naturalistischen kleinen Entwurf die große Figur expressiv übersteigert. Ich versuchte, in der Skulptur mit skulpturalen Mitteln eine Dynamik auszudrücken und die Fähigkeit Willy Brandts zum Umdenken zu zeigen, die im Kontrast zu dogmatischer, starrer, weltfremder Politik steht.“ (SPIEGEL, 35/2005).
Möglicherweise ist Brandts politische Orientierung auch der Grund für die eher unkonventionelle Wahl des Standortes: Der kleine bronzene Willy Brandt argumentiert im Ledenhof nicht nur gegen die Borniertheit der Gesellschaft, sondern (wie zu seinen Lebzeiten) auch gegen eine physische Mauer an.



Bleibt noch die Frage offen, ob eine derart kleine Nachbildung einer politischen Größe dem Format eines Willy Brandt gerecht werden kann? Im Vergleich zum Berliner Original, das sowohl schützend als auch warnend die Hand über die Menge zu halten scheint, wirkt diese Skulptur beinahe verniedlichend – es ist fraglich, ob dies eine respektvolle Auseinandersetzung mit der Geschichte in jedem Falle fördert.
Fetting sagt zu seiner Skulptur, er habe jede idealisierende Überhöhung vermeiden wollen. Vielleicht macht gerade dieses Fehlen einer wertenden Rezeptionsintention eine Auseinandersetzung mit dem Werk nicht nur möglich, sondern notwendig.

Silja Lenz und Kerstin Bäßmann
für ERINNERN UND VERGESSEN

Quellen: google pictures/ www.aski.org /www.osnabrück.de/ www.munzinger.de /www.fr-online.de/   www.noz.de/ www.galerie-schwarz-weiß.de / http://de.wikipedia.org
Katalog: „Rainer Fetting: Berlin, New York; Gemälde und Skulpturen“  Berlin/Weimar

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