Betritt man den Patio des Osnabrücker Ledenhofes, seit 2002 Sitz der Deutschen Stiftung Friedensforschung, und steuert auf den Eingang zu, bemerkt man die kleine Bronzeskulptur erst auf den zweiten Blick.
Sie hat etwa die Größe eines Gartenzwergs – durch den Betonsockel ist sie auf Augenhöhe gebracht -, besitzt eine schartige, aufgebrochene Oberfläche und zeigt Willy Brandt, den 4. deutschen Bundeskanzler, in typischer Pose: Eine Hand erhoben, die andere in der Hosentasche, den Blick konzentriert gesenkt.
Er steht recht unscheinbar einige Meter von der Außenmauer entfernt am Wegrand, den Blick auf die Wand gerichtet
Die Skulptur wurde am 17.3.2006 an ihrem neuen Standort
eingeweiht - sie war der Stadt Osnabrück nach einer Ausstellung in der
Kunsthalle Dominikanerkirche für den Preis von 15 000 Euro zum Kauf angeboten
und auf die Initiative des damaligen Oberbürgermeisters Hans Jürgen Fip hin
durch Firmen- und Bürgerspenden finanziert worden.
Der Schöpfer des 80 cm hohen Bronzegusses mit dem Titel
„Willy Brandt – die kleine Skulptur“ ist Rainer Fetting, der vor allem für
seine Malerei in den 80er Jahren bekannt ist. Der 1949 in Wilhelmshaven
geborene Künstler teilte sich zu jener Zeit die Berliner „Galerie am
Moritzplatz“ mit anderen Künstlern wie Helmut Middendorf, Bernd Zimmer und
Salomé – die Gruppe wurde aufgrund ihrer dynamischen, befreiten Malerei als
„junge Wilde“ bekannt. Auch die Skulptur Willy Brandts sowie die weiteren
Bronzearbeiten, die Fetting seit 1986 anfertigte (mit Vorliebe
Politikerbildnisse, neben Willy Brandt auch immer wieder Helmut Schmidt) tragen
die dynamische Handschrift seiner Malerei.
Die Skulptur im Ledenhof ist nur eine von insgesamt 47 Ausführungen der Figur - neben der 3,40 Meter hohen Originalskulptur, die im Jahr 1996 im Willy-Brandt-Haus in Berlin aufgestellt wurde,
gibt es noch 44 weitere Miniaturen des großen Vorbilds (teilweise bunt bemalt -Abb.4-), sowie eine zweite große Bronze im Willy-Brandt-Park in Stockholm.
Fetting gibt an, seine Faszination für den Lebenslauf WillyBrandts habe ihn zu der Skulptur inspiriert. Um also dem Werk näher zu kommen, sollte man der Geschichte des Politikers einige Worte widmen.
Willy Brandt wird am 18. Dez. 1913 in Lübeck unter dem
Namen Herbert Ernst Karl Frahm geboren. Seine uneheliche Herkunft wird ihn bis
ins hohe Alter verfolgen; immer wieder wird sie in späteren Wahlkämpfen von
konservativer Seite gegen ihn verwendet werden.
Durch seinen Stiefgroßvater kommt Herbert Frahm schon in
früher Jugend mit der Politik in Kontakt. Bereits als SPD-Mitglied wendet er
sich einem radikal sozialistischen Kurs zu; bald überwirft er sich mit der SPD
und tritt der SAPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, bei.
Nach Hitlers Machtergreifung und dem Verbot der SAPD muss
er ins norwegische Exil fliehen. Unter dem Decknamen Willy Brandt arbeitet er
hier am Aufbau einer SAPD-Zelle – den Namen Willy Brandt wird er sich 1947
offiziell anerkennen lassen und bis zum Lebensende beibehalten.
Brandt arbeitet während des Krieges für die norwegische
Regierung als Kriegsberichterstatter; nach seiner Flucht nach Stockholm bleibt
er weiter journalistisch aktiv und arbeitet außerdem maßgeblich an der
Annäherung er SAPD-Exilanten an die SPD mit.
Nach dem Krieg kehrt Willy Brandt nach Deutschland zurück
und beginnt seine politische Karriere als SPD-Abgeordneter im ersten deutschen
Bundestag. Große Popularität erringt er als Bürgermeister von Berlin (1957-66)
durch sein entschlossenes Handeln während des Berlin-Ultimatums und nach dem
Bau der Berliner Mauer, gegen den er vehement protestierte. Einige Jahre später
macht er als deutscher Bundeskanzler (1969-74) durch seine Entspannungspolitik
im Osten den Dialog zwischen Ost und West wieder möglich und die Berliner Mauer
durchlässiger –1971 wird ihm für seine Ostpolitik der Friedensnobelpreis
zugesprochen.
Die wohl bekannteste Geste seiner Annäherung an den Osten
ist der „Kniefall von Warschau“ am 7. Dezember 1970 am Mahnmal des
Ghetto-Aufstandes von 1943 (Abb. 5) – die spontane und emotional aufgeladene
Geste fand weltweite Beachtung als wirkungsmächtiges Symbol der Vergebung für
die deutschen Kriegsverbrechen und kann als modernes Denkmal betrachtet werden.
Im Alter gesundheitlich angeschlagen und zeitweise
depressiv, bleibt Brandt bis kurz vor seinem Tode im Jahre 1992 politisch
aktiv.
Bei der Betrachtung der zerfurchten Oberfläche der
Willy-Brandt-Skulptur, die bis hin zu einer Verstümmelung der Finger geht,
drängt sich dem Betrachter – ob von Fetting beabsichtigt oder nicht – der
Gedanke an die zahlreichen Verletzungen auf, denen Brandt während seiner
politischen Laufbahn ausgesetzt war – neben seiner unehelichen Abstammung wurden
ihm auch seine Jahre im Exil immer wieder vorgeworfen.
Fetting selbst sagt über seine Arbeit (auf eine Kritik
Gerhard Richters hin, die Figur sähe aus wie ein „Zombie“): „Ich habe nach
einem eher naturalistischen kleinen Entwurf die große Figur expressiv
übersteigert. Ich versuchte, in der Skulptur mit skulpturalen Mitteln eine
Dynamik auszudrücken und die Fähigkeit Willy Brandts zum Umdenken zu zeigen,
die im Kontrast zu dogmatischer, starrer, weltfremder Politik steht.“ (SPIEGEL,
35/2005).
Möglicherweise ist Brandts politische Orientierung auch der
Grund für die eher unkonventionelle Wahl des Standortes: Der kleine bronzene
Willy Brandt argumentiert im Ledenhof nicht nur gegen die Borniertheit der
Gesellschaft, sondern (wie zu seinen Lebzeiten) auch gegen eine physische Mauer
an.
Bleibt noch die Frage offen, ob eine derart kleine Nachbildung einer politischen Größe dem Format eines Willy Brandt gerecht werden kann? Im Vergleich zum Berliner Original, das sowohl schützend als auch warnend die Hand über die Menge zu halten scheint, wirkt diese Skulptur beinahe verniedlichend – es ist fraglich, ob dies eine respektvolle Auseinandersetzung mit der Geschichte in jedem Falle fördert.
Fetting sagt zu seiner Skulptur, er habe jede
idealisierende Überhöhung vermeiden wollen. Vielleicht macht gerade dieses
Fehlen einer wertenden Rezeptionsintention eine Auseinandersetzung mit dem Werk
nicht nur möglich, sondern notwendig.
Silja Lenz und Kerstin Bäßmann
für ERINNERN UND VERGESSEN
für ERINNERN UND VERGESSEN
Quellen: google pictures/ www.aski.org /www.osnabrück.de/ www.munzinger.de /www.fr-online.de/ www.noz.de/ www.galerie-schwarz-weiß.de / http://de.wikipedia.org
Katalog: „Rainer
Fetting: Berlin, New York; Gemälde und Skulpturen“ Berlin/Weimar
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