Am Anfang stand ein Foto.
Wir befinden uns in Berlin und es herrscht der zweite Weltkrieg. Ab dem 18. November 1943 kommt es erneut zu schweren Luftangriffen mit den Zentren Alexanderplatz und Berliner Zoo. Wolf Strache, der als Mitglied der NSDAP in seiner Funktion als Fotograf eigentlich die Bombenschäden dokumentieren soll, schießt am am 23. November ein Foto auf dem man eine Frau mit einer Gasmaske sieht, die einen Kinderwagen schiebt.
Wir befinden uns in Berlin und es herrscht der zweite Weltkrieg. Ab dem 18. November 1943 kommt es erneut zu schweren Luftangriffen mit den Zentren Alexanderplatz und Berliner Zoo. Wolf Strache, der als Mitglied der NSDAP in seiner Funktion als Fotograf eigentlich die Bombenschäden dokumentieren soll, schießt am am 23. November ein Foto auf dem man eine Frau mit einer Gasmaske sieht, die einen Kinderwagen schiebt.
Frau mit Gasmaske und Kinderwagen |
Die Frau, die im
Vordergrund des Bildes eilig mit einem Kinderwagen unterwegs ist, scheint auf
der Flucht zu sein. Über den Inhalt des Kinderwagens kann man nur spekulieren –
ein Kind? oder dient der Kinderwagen nur als Transporter für wichtiges Hab und
Gut? Warum trägt sie eine Gasmaske - vielleicht aus Angst?
Im Hintergrund
sieht man ein bedeutendes Filmtheater am Kürfürstendamm, den Gloria-Palast, in
dem seit dem 5. November 1943 der Liebesfilm „Reise in die Vergangenheit“
aufgeführt wurde.
Dieses Foto
sollte Wolf Strache berühmt machen und zu einem Schlüsselbild der Nachkriegszeit
werden, denn das Foto ermöglicht eine Lesart, in der die Deutschen auch als
Opfer und nicht nur als „die Bösen“ dargestellt werden.
Da die Fotos
strenger Geheimhaltung unterlagen, konnte Strache erst nach 1945 Privatabzüge veröffentlichen.
…ein Ereignis…
Es ist der 21.
November 1944, 12:08 Uhr. Über Osnabrück fallen Bomben. An diesem Mittag hatten
sich auch Anwohner aus Nahne in einen
Bunker am Schölerberg zurückgezogen. Unter Ihnen auch 51 Kinder aus dem
Kinderheim Schölerberg und der Volksschule Nahne. Die Jüngsten sind erst 1 Jahr
alt. Der Bunker ist ganz auf die jungen Besucher zugeschnitten, beinhaltet
unter anderem zahlreiche Kinderbetten. Kurz vor Beginn des Angriffs verlässt
der Heimleiter mit zwei Frauen noch das schützende Gebäude, sie wollen etwas
Vergessenes holen. Der Eingang des Stollens liegt unmittelbar an der Südseite
des Kinderheims, ein zweiter in dessen Heizungskeller.
Der Stollen gilt
als absolut bombensicher, die Decke besteht aus einer acht Meter dicken
Muschelkalksteinschicht, nur im Bereich des Eingangs beträgt die Stärke
lediglich vier Meter. Diese kleine Schwachstelle ist der Grund einer
Katastrophe: Hier, direkt über dem Eingang, durchschlägt kurz nach Beginn des
Angriffes eine Bombe, ein „Zufallstreffer“, die Decke und explodiert im Inneren
hinter der schweren Eisentür, die zum Aufenthaltsbereich führt. Alle Insassen
kommen durch die austretenden Kohlenoxydgase der explodierenden Sprengbombe ums
Leben.
Unwissend dessen
eilen noch der Heimleiter und die zwei Frauen, die zuvor den Stollen verlassen
hatten, zum Kellereingang des Stollens um den Verschütteten zu helfen. Die
beiden Frauen nähern sich dem Stolleneingang zu weit, atmen zu viel des Gases
ein, auch sie kommen um. Nur der Heimleiter hat Glück, er liegt weit genug vom
Eingang entfernt und die Rettungskräfte sind schnell genug da, um ihn an die
frische Luft zu bringen. Als diese mit Sauerstoffmasken ausgerüstet endlich
auch zu den Stolleninsassen vordringen können, bietet sich ihnen ein gruseliges
Bild: Kaum einer der Insassen ist äußerlich verletzt oder auch nur von Staub
bedeckt. Alle sitzen oder liegen nur wie Schlafende da.
Mache Angehörige
können diesen Tod nicht glauben, ordnen eine Obduktion an - doch auch diese
bestätigt eine Vergiftung. Einige Familien trifft es besonders hart, sie
verlieren bis zu vier Kinder, zum Teil zusätzlich noch ein Elternteil.
Durch diesen
Bombenvolltreffer des Bunkers am Schölerberg kommen 96 Menschen ums Leben. An
sie erinnert auch eine Gedenktafel, die 2004 vom Förderverein Brüningsquelle an
der Unglücksstelle aufgestellt wurde.
Quelle: Spratte,
Wido: Im Anflug auf Osnabrück. Die Bombenangriffe 1940-1945, Osnabrück: H. Th.
Wenner 1985, S. 98-101;
… und wie sich
beides verbindet.
Die Person, bei der die beiden Fäden zusammenlaufen ist der Künstler Heinrich Brummack.
Als Brummack von
der Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück die Möglichkeit erhält, eine
kleine Einbuchtung im Gebäude, die früher einmal ein Epitaph enthalten haben
soll, neu zu gestalten, entscheidet er sich, die Tradition in die Moderne zu
übertragen, und wiederum eine Art Epitaph zu entwickeln – und zwar zu dem zuvor
beschriebenen Bombenangriff von 1944. Zu dieser Entscheidung hat maßgeblich
beigetragen, dass Brummack, der selbst der Kriegsgeneration angehört, zur Zeit
des zweiten Weltkrieges im gleichen Alter war wie die umgekommenen Kinder.
Dieser Umstand macht die aus dem Etat der Kunsthalle finanzierte Arbeit für ihn
zu einem sehr persönlichen, sehr emotionalen Werk, wie er in einem Gespräch
auch mehrfach betonte.
Und die oben in
einem vorherigen Beitrag beschriebene Photographie von Wolf Strache?
Die wird die Vorlage und Inspiration für Brummacks Gedenkrelief, als sie ihm während der Ideensuche zufällig in die Hände fällt – wenn auch das Ergebnis am Ende stark von der Vorlage abstrahiert erscheint.
Man sieht auf dem Relief rechts eine Frau, die ihr Kind auf dem Arm hält, rechts daneben einen aufgeschobenen Kinderwagen. Ob sie sich innerhalb oder außerhalb eine Raumes aufhalten, ist nicht deutlich zu
erkennen.
Gedenkrelief von Heinrich Brummack |
Die wird die Vorlage und Inspiration für Brummacks Gedenkrelief, als sie ihm während der Ideensuche zufällig in die Hände fällt – wenn auch das Ergebnis am Ende stark von der Vorlage abstrahiert erscheint.
Man sieht auf dem Relief rechts eine Frau, die ihr Kind auf dem Arm hält, rechts daneben einen aufgeschobenen Kinderwagen. Ob sie sich innerhalb oder außerhalb eine Raumes aufhalten, ist nicht deutlich zu
erkennen.
Auffällig ist,
dass die Frau hier im Vergleich zum photographischen Vorbild keine Gasmaske
trägt. Denn was wäre passiert, wenn die Menschen im Bunker Gasmasken gehabt
hätten? Wahrscheinlich hätten sie überlebt. Letztendlich aber haben in diesem
Fall genau die überlebt, die sich (zufällig) außerhalb des Schutzraumes
befanden.
Auch erinnert die
Haltung der Frau mit ihrem Kind auffällig an eine Madonnendarstellung – an der
Wand einer ehemaligen Kirche durchaus gerechtfertigt.
Das Gedenkrelief
besteht aus Aluminium und ist von einem MP-Dickschicht- Lack überzogen, der
widerstandsfähig gegen UV-Strahlen ist. Zudem ist es nur sehr zurückhaltend
bemalt. Diese beiden Komponenten beugen dem Effekt vor, dass normalerweise
(farbige) Denkmäler im Laufe der Zeit ihre Farbe verlieren. Brummacks Relief
aber ist darauf ausgelegt, die Zeiten in seinem aktuellen Zustand zu überdauern.
Während Brummack
das Relief entworfen hat, lag die eigentliche Modellierung in den Händen seines
Sohnes Jakob, der auch Bildhauer ist. Es handelt sich also um eine
Gemeinschaftsarbeit von Vater und Sohn. Brummack erzählt uns dazu, dass es bei
der Modellierung dieses Motivs wohl einige Schwierigkeiten gab – und dass er
rückblickend heute eher etwas aus Kinderspielzeug der damaligen Zeit schaffen
würde.
Zu dem
Gedenkrelief gehört auch eine Tafel mit den Namen der verstorbenen Kinder, die
im Stil einer Schiefertafel gehalten ist, und unter dem Relief angebracht ist.
Die Namen wurden
von Brummack eigenhändig mit Emaille auf
das Metall geschrieben. Die Schiefertafel wählte er wieder aus persönlichen
Gründen, denn er hatte selbst auf einer solchen Tafel schreiben gelernt, zudem
kann es als eine Anspielung darauf gesehen werden, dass auch viele Schulkinder
bei dem Bombenangriff umgekommen waren.
Brummack
persönlich verrät uns, dass ursprünglich noch vorgesehen war, einen Schwamm an
der Tafel zu befestigen (das Loch dafür existiert!) , warum diese Idee aber am
Ende nicht umgesetzt wurde, darüber lässt er uns im Dunkeln.
Das Relief wurde
am Sonntag, den 18.Mai 2008 auf dem Vorplatz der Kunsthalle Dominikanerkirche
im Rahmen des internationalen Museumstages eingeweiht.
Seine
Berechtigung erhält dieser Erinnerungsort gegenüber der Gedenktafel am
Schölerberg auch dadurch, dass es sich hier eben um ein Epitaph handelt, ein
Denkmal mit den Namen der Verstorbenen, künstlerisch gestaltet, das sich nicht
an der Grabstätte befinden muss- und somit ein Ereignis, das durch die
Gedenkfläche am Schölerberg allein, die doch etwas versteckt liegt, vielleicht
vergessen zu werden droht, weiter in die Stadt holt und einem Platz anschließt,
der schon durch seinen Namen einen Erinnerungsort darstellt.
Am Ende des
Seminargesprächs lässt Brummacks Gedenkrelief dennoch einige Fragen und
Kritikpunkte zurück:
Warum stehen nur
55 Namen auf der Tafel und nach welchen Kriterien wählte er die Namen der
Erwachsenen aus, die sich unter den Kindernamen befinden?
War die Wahl der
zurückhaltenden Farbgebung geeignet? Vielen ist das Relief zuvor nie
aufgefallen, da es sich fast zu gut in den Raum einfügt.
Auch scheinen die
beiden Komponenten des Gedenkreliefs und der Schiefertafel nicht richtig
zueinander zu passen. Nimmt man noch die kleine Informationstafel dazu, die
neben der Schiefertafel angebracht ist, so hat man das Gefühl, vor einem Gewirr
von lauter Tafeln zu stehen.
Dennoch, Brummack hat mit seinem Relief einen Erinnerungsort für Angehörige der getöteten Kinder geschaffen, an dem sie gedenken können und der ihnen die Möglichkeit bietet in einem würdigen öffentlichen Rahmen der Toten zu gedenken.
Als wir das erste Mal zu der Gedenktafel kamen war eine Blume auf der Schiefertafel frisch abgelegt worden – und wenn wir das nächste Mal hingehen, wird sicherlich wieder eine dort liegen.
Lea Kröger und Emma Kallage
für ERINNERN UND VERGESSEN
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