Abbildung 1: Bandau: Gleiches Gewicht - Gleichgewicht |
Thema dieser Ausführungen ist das von Joachim Bandau entworfene und realisierte 22 tonnenschwere denkmalsähnliche Kunstwerk, das am 7. Oktober 1998 zum 350. Jubiläum des Westfälischen Friedens in Osnabrück auf dem Vorplatz des Theaters aufgestellt wurde.
Bezugnehmend auf das Osnabrücker Jahrbuch - Frieden und Wissenschaft, in dem Elke Hergert Joachim Bandaus Gleiches Gewicht - Gleichgewicht als ein "künstlerisches Zeichen für mehr Toleranz" vorstellt, und auf eigene Recherchen, aktuellen Bildern und Bestandsaufnahmen vom Zustand des Kunstwerkes im öffentlichen Raum entstand dieser Blogeintrag von Anke Brömmer und Melanie Flack zur Diskussion im Kontext von ERINNERN UND VERGESSEN. Fragen stellen sich und werden gestellt.
Zu Beginn die technischen Daten des Kunstwerkes.
Aufstellungsdatum:
7.
Oktober 1998
Ort:
Vorplatz
des Osnabrücker Theaters
Material:
Stahl-
und Kupferplatte, je 11 t
Künstler:
JoachimBandau, Gewinner des Toleranz-Preises Osnabrück 1998
Stifter:
Herrenteichslaischaft,
Laischaften waren die ersten Osnabrücker Bürgerinitiativen
Anlass:
350.
Wiederkehr des Westfälischen Friedens nach dem Dreißigjährigen Krieg und
geplante Umgestaltung des Theatervorplatzes
Veranlasser:
Herrenteichlaischaften
und die Stadt Osnabrück
Und allen Reflexion über Wirkung und Wirklichkeit der Arbeit sei vorangestellt das ausgeschriebene Motto zur Ausschreibung des Wettbewerbes zur "Toleranz", den Joachim Bandau gewann.
Definition der damaligen Wettbewerbsbedingungen:
»sowohl
die religiöse, die nationale, die ethnische, die soziale, geistige, als auch
künstlerische Toleranz, die nicht nur im ursprünglichen Wortsinne eine Duldung
oder Erduldung des Anderen bedeutet, sondern letztlich eine Akzeptanz des
Anderen impliziert. Das hierfür zu schaffende Kunstwerk sollte inhaltlich die
aktive Auseinandersetzung und Wahrnehmung mit anderen Kulturen bzw. Denkweisen,
d.h. das Verschiedenartige als das eigene Leben Bereichernde beinhalten.«
(Quelle: Künstlerische Zeichen für mehr Toleranz, Elke Hergert, Osnabrück 2003)
(Quelle: Künstlerische Zeichen für mehr Toleranz, Elke Hergert, Osnabrück 2003)
Abbildung 2: Vor dem Theater – Weitwinkelaufnahme aus der Ferne |
Strategien der Abstraktion
Zunächst
stellt sich bei einem abstrakten Denkmal die Frage, warum diese Form der
Gestaltung gewählt wurde. Schließlich hätte man das Thema der Toleranz auch
figürlich darstellen können, oder nicht?
Allerdings
wurden figurative Denkmäler häufig von totalitären Regimen und Gesellschaften
missbraucht, indem sie Ideologien und Hierarchien verherrlichten. Das Idealbild
weicht in der Abstraktion einem wie auch immer gearteten möglichen Bild. Dem
gegenüber kann mittels der figürlichen Statue kein umfassender Ausdruck für
Toleranz vermittelt werden. Hier entstünde die Gefahr, dass sich Menschen ausgeschlossen
fühlten, da nicht alle individuellen Daseinsformen dargestellt werden könnten.
Dies führte mehr zu einer Distanzierung des Betrachters, wenn dieser sich als
ausgegrenzt wahrnimmt. Die Abstraktion hingegen erhebt die unterschiedlichen
Daseinsformen, versinnbildlicht durch die verschieden geformten Metallplatten,
auf eine beispielhafte, höhere, allgemeingültigere und abstrahierte Denkweise
ohne Wertung und Zuordnung. Die
Abstraktion ist für viele Menschen zunächst schwer zugänglich.
Dies impliziert,
dass auch das abstrakte Denkmal selbst zunächst toleriert und anerkannt werden
muss. Somit fordert die abstrakte Methode Toleranz von den Menschen, die es
betrachten.
Ähnlich wie das abstrakte Prinzip ist auch das Individuum häufig
nur durch offenes und unvoreingenommenes Betrachten tiefer zu ergründen. Wie
empfindet ihr die abstrakte Umsetzung des Themas? Ist diese unpassend, da
schließlich auch an ein geschichtliches Geschehnis erinnert werden soll?
Abbildung 3: Klassizistische bischöfliche Kanzlei |
Das
Denkmal steht auf dem Vorplatz des Theaters. Die Stadt wollte durch die
Ausschreibung des Wettbewerbs nicht nur an den Dreißigjährigen Krieg erinnern,
sondern auch den Theatervorplatz umgestalten und verschönern. Das Theater ist
in der Art des Jugenstils (s. Abb. 1,2) erbaut worden. Zusätzlich steht das
abstrakte Denkmal in unmittelbarer Nähe zum romanischen Dom (s. Abb. 10) und
weiter die Hasestraße entlang befindet sich die klassizistische
bischöfliche Kanzlei (s. Abb. 3).
Nach Hergert greift das
Denkmal keinen Stil der umliegenden Gebäude auf, sondern ist selbst
abstrakt. „…[Die] Skulptur ist weder Dekoration noch optische Verstärkung für
die umliegenden Gebäude, sie muss sich ihren eigenen Platz und Raum schaffen
[…].“
Nicht unweit entfernt ist die evangelisch-lutherische Marienkirche zu finden. So liegt der Theatervorplatz zwischen einem katholischen und einem evangelischen Gebäude und markiert die heutige Nahtstelle zwischen dem bischöflichen Wirkungsbereich und der bürgerlich-protestantischen Befugnis. Das Denkmal verbindet so die beiden Konfessionen, die sich im Dreißigjährigen Krieg bekämpft haben, wobei das Denkmal, auf den Dom zu weisen scheint
(s. Abb. 10,11).
Abbildung 10: ‚Der Fingerzeig auf den Dom?‘ |
Möchte Bandau eine Nähe zur katholischen Kirche ausdrücken oder lässt
sich die Tatsache, dass das Denkmal auf den Dom zeigt, wie ein drohender
Fingerzeig interpretieren? Hätte man das Denkmal im gleichen Abstand zu der
evangelischen Kirche und dem katholischen Dom aufstellen können/sollen?
Abbildung 4: Platz der Deutschen Einheit |
Offensichtlich scheint der Theatervorplatz ein geschichtsträchtiger Ort zu sein. Der Name des
Platzes, an dem sich die Skulptur befindet, ist Platz der deutschen Einheit
(s. Abb. 4). Was wiederum nochmals auf die Thematik der Toleranz lenkt. Einheit
spielt auf die Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westdeutschland an. Aber
nicht nur darauf, denn der Mensch in seiner ganzen Individualität, ausgedrückt
durch zwei so unterschiedliche Formen, muss andere Menschen und ihre
individuelle Daseinsform akzeptieren, um zu einer Gesellschaft bzw. zu einer
Einheit zu wachsen
- und mehr noch - damit das Leben miteinander und in aller
Verschiedenheit gelingt.
Wie
seht ihr das? Ist diese Interpretation zu weit hergeholt?
Eine
weitere Frage, die sich uns stellt ist die, warum sich Metallhalbkreise auf dem
Boden vor dem Theater befinden. Stehen sie in Kontakt mit Bandaus Denkmal?
Ergeben auch hier zwei Teile ein Ganzes?
Aber warum sind diese Teile dann
identisch und beziehen sich in ihrer Form nur auf einen Teil der Skulptur? (s.
Abb. 5,6)
Abbildung 5: Was sind das für Gebilde vor dem Theater? |
Abbildung 6: Runde Platte auf dem Theatervorplatz |
Mächtige Massen - Überlegungen zum verwendeten Material
Das
Kunstwerk hinterlässt einen schweren und nachhaltigen Eindruck bei dem
Betrachter. Dies liegt nicht zuletzt an seiner wahrhaftigen Schwere von 11
Tonnen je Plattenkonstruktion und der Dauerhaftigkeit der verwendeten
Materialien (Metall). Die dadurch errungene monumentale Präsenz des Denkmales
entspricht auch der Gewichtigkeit des inhaltlichen Themas als solches.
Die
großen schweren Metallplatten wirken beinahe bedrohlich und brutal. Dieser
Eindruck wird jedoch durch die fragile, im abstrakten Sinne auch grazile
Anordnung (s. Abb. 8) und den thematischen Bezug zurückgenommen. Ebenso wie das
Kunstwerk durch Größe und Schwere seinen Platz mit seiner Wirkung einnimmt, so
sollte auch immer wieder Raum für Toleranz in der Gesellschaft erkämpft werden.
Die Dauerhaftigkeit der Materialien, welche durchaus schwer zu beschädigen
sind, verweist darüber hinaus auf die Bedeutung und Notwendigkeit der
Zeitlosigkeit dieser Thematik. Gleichzeitig deuten die oxidierenden Materialien
(Kupfer und Stahl) auf den Wandel bzw. vielmehr die Entwicklung des
Gegenstandes hin. Der Stellenwert, die Bedeutung und die Ziele von Toleranz
müssen in einer Gesellschaft immer wieder neu eruiert werden. Darüber hinaus
sind Beschädigungen oder Verschmutzungen durch die Oberflächen-Korrosion der
Materialien nicht von langer Dauer. Die tafelhafte Beschaffenheit des Denkmales
scheint zum Missbrauch durch ‚Beschmierungen‘ einzuladen. Ein zum jetzigen
Zeitpunkt (29.05.2013) vorgefundenes eingeritztes, durchgestrichenes Hakenkreuz
(s. Abb. 7) wird jedoch alsbald durch den Oberflächenwandel nicht mehr zu sehen
sein. Dies spricht für die universelle unvergängliche Bedeutung des
übergeordneten Hochziels von Toleranz und Frieden gegenüber den kurzweiligen
Einflüssen auf diese.
Abbildung
7: Eingeritztes, durchgestrichenes Hakenkreuz
|
Das
Denkmal befindet sich im Wandel ist aber dauerhaft präsent. Die Überzeugung vom
anhaltenden Frieden, welche eine neue kulturgeschichtliche Errungenschaft für
die Gesellschaft ist, die immer neu und abgewandelt definiert werden muss, wird
mit der konzeptuellen Zusammenstellung der Figur zum Ausdruck gebracht. Auch
die Unterschiedlichkeit der am ‚Balanceakt‘ beteiligten Parteien wird durch
Material und Form bzw. dessen eigene Qualität betont und versinnbildlicht.
Das
Stahlstück und die Kupfertafel haben ihre ganz unterschiedliche Dichten und
individuelle Oxidationsvorgänge. Während das Kupfer sich mit der Zeit grün
färbt, entwickelt die Stahlplatte eine im Farbkreis komplementär angeordnete
rotbraune Farbigkeit. Kupfer, welches das weichere Material ist, wird in der
rechteckigen harten Form wiedergegeben. Das härtere Stahlstück hingegen umfasst
auch die runde weiche Form eines Halbkreises. Mittels dieser ungleichen
Qualitäten wir in ihrer abstrakten Verwirklichung eine wertfreie
Unterschiedlichkeit postuliert. Unterschiedliche und unter Umständen auch
gegensätzlichen Positionen, Vorstellungen, Lebenskonzepte etc. begegnen uns in
der Gesellschaft immer wieder. Wie wir mit Heterogenität und Differenzen
umgehen ist auch zu großen Teilen eine Frage der Toleranz und inwieweit
Toleranz in der jeweiligen Gesellschaft etabliert bzw. thematisiert wird.
Abbildung 8: sensibles Gleichgewicht |
Gleichgewichtsstruktur und Anordnung
„Das
tragende Element, der Halbkreis, wird in seiner ausgeprägten Seitenneigung
durch das lastende Element, die Kupfertafel, fixiert: tragende [sic!] und
lastende Funktionen sind in dieser Konstellation gleichwertig. Nur indem sich
beide Teile miteinander verbinden oder verbünden, können sie ein Umstürzen
verhindern. Die labile Situation ist jetzt im Gleichgewicht.“ (Zitat Joachim Bandau vgl: Hergert 2003)
Die
labil kippende Position beider Metallstücke kann nur durch den gegenseitiger
Halt entschärft und ausgeglichen werden. Nur eine kleine konkave Aufsatzfläche
(s. Abb. 9) und keine weiteren Halterungen befestigen die Skulptur.
Ähnlich
wie bei dem Kontrapost aus der klassischen Bildhauerei geht es um den
harmonischen Ausgleich der Gewichte. Die Strategie der perfekten Gewichtung
wird auf die Skulptur Bandaus verdichtet. Damit werden die sich gegenseitig
bedingenden haltsuchenden Positionen zum ganzheitlichen und anzustrebenden
Ideal. Folglich wird der Toleranzgedanke des gegenseitigen Akzeptierens sogar
überschritten, indem sich die Zweiheit funktional bedingt und darüber hinaus
als perfekte Einheit bzw. “die wechselseitige Durchdringung aller
Daseinsformen“ versinnbildlicht wird.
Beide
Metallplatten haben ein Gewicht von 11 Tonnen. Hierin besteht trotz aller
Verschiedenheit eine grundlegende Gleichheit der Konstruktionsfraktionen. So
wie der individuelle Mensch trotz allem ein Mensch bleibt. Ganz gleich welcher
individuellen Ausprägung, bleibt der Mensch nach einer aufgeklärten Auffassung
der Sinnhaftigkeit des anzustrebenden Toleranzideals unterworfen. Die
ebenerdige Präsentation manifestiert den Bezug zum Menschen und der
Gesellschaft zusätzlich. Das Kunstwerk begegnet uns auf Augenhöhe und
entwickelt durch seine Zugänglichkeit und Größe eine unausweichliche Nähe zum
Betrachter.
Abbildung 11: „AGAINST ALL AUTHORITY“ |
Die
Ausrichtung der Platten wurde vermutlich genauestens geplant. Während der
Betrachtung fällt uns auf, dass die Kupferplatte sehr deutlich auf den Dom
verweist. Geschieht dies mit einer Absicht? Ist das vielleicht eine Art
Fingerzeig auf die katholische Kirche? Besonders die katholische Kirche muss
sich dem Vorwurf der Intoleranz auch in heutigen Zeiten immer wieder stellen.
Durch Zufall verstärkt ein zum jetzigen Zeitpunkt (29.05.2013) angebrachter
Aufkleber mit der Aufschrift „AGAINST ALL AUTHORITY“ die Überlegung zusätzlich.
Oder will sich dieser gegen den Staat richten, indem er durch öffentliche
Gelder finanzierte Kunstwerke kritisiert? Was meint ihr dazu?
Abb. 12, Gleiches Gewicht - Gleichgewicht in der Maiwoche 2013 |
Zwischen gestapelten Stühlen und Tischen
Abb. 13, Maiwoche 2013 |
Ein Kunstwerk, das im öffentlichen Raum steht, steht auch immer im unvermeidlichen
Kontakt zu den betrachtenden und agierenden Menschen. Nicht nur das eingeritzte
Hakenkreuz und der Aufkleber verdeutlichen dies. Die Fotos vom 8. Mai 2013, als das Gleiche Gewicht samt Gleichgewicht dem Härtetest der Aufbausituation zum Maifest ausgeliefert war, hält den Zustand fest, währenddessen wir unser Referat über Bandaus Kunstwerk halten mussten.
Wie wird mit
einem Kunstwerk umgegangen? Ist der Umgang abwertend für das Kunstwerk oder kann es
trotzdem wirken?
Schafft es sich trotz der ‚Belagerung‘ seinen eigenen Raum?
Anke Brömmer und Melanie Flack
Abb. 14, Maiwoche 2013 |
Abb. 15, Maiwoche 2013 |
Mir ist jetzt gerade beim Betrachten der Bilder aufgefallen, dass die rechteckige Platte ja schon ziemlich genau auf die katholische Kirche weist. Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass dieser deutliche Seitenhieb bewusst gesetzt wurde. Wie ihr schon geschrieben habt, ist die katholische Kirche ja starker Kritik ausgesetzt und das meiner Meinung nach auch zurecht.
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