Mittwoch, 5. Juni 2013

Gleiches Gewicht – Gleichgewicht



Abbildung 1: Bandau: Gleiches Gewicht - Gleichgewicht

Thema dieser Ausführungen ist das von Joachim Bandau entworfene und realisierte 22 tonnenschwere denkmalsähnliche Kunstwerk, das am 7. Oktober 1998 zum 350. Jubiläum des Westfälischen Friedens in Osnabrück auf dem Vorplatz des Theaters aufgestellt wurde.
Bezugnehmend auf das Osnabrücker Jahrbuch - Frieden und Wissenschaft, in dem Elke Hergert Joachim Bandaus Gleiches Gewicht - Gleichgewicht als ein "künstlerisches Zeichen für mehr Toleranz" vorstellt, und auf eigene Recherchen, aktuellen Bildern und Bestandsaufnahmen vom Zustand des Kunstwerkes im öffentlichen Raum entstand dieser Blogeintrag von Anke Brömmer und Melanie Flack zur Diskussion im Kontext von ERINNERN UND VERGESSEN. Fragen stellen sich und werden gestellt.

Zu Beginn die technischen Daten des Kunstwerkes.
 
Aufstellungsdatum: 7. Oktober 1998
Ort: Vorplatz des Osnabrücker Theaters
Material: Stahl- und Kupferplatte, je 11 t
Künstler: JoachimBandau, Gewinner des Toleranz-Preises Osnabrück 1998
Stifter: Herrenteichslaischaft, Laischaften waren die ersten Osnabrücker Bürgerinitiativen
Anlass: 350. Wiederkehr des Westfälischen Friedens nach dem Dreißigjährigen Krieg und geplante Umgestaltung des Theatervorplatzes
Veranlasser: Herrenteichlaischaften und die Stadt Osnabrück

Und allen Reflexion über Wirkung und Wirklichkeit der Arbeit sei vorangestellt das ausgeschriebene Motto zur Ausschreibung des Wettbewerbes zur "Toleranz", den Joachim Bandau gewann.

Definition der damaligen Wettbewerbsbedingungen:
»sowohl die religiöse, die nationale, die ethnische, die soziale, geistige, als auch künstlerische Toleranz, die nicht nur im ursprünglichen Wortsinne eine Duldung oder Erduldung des Anderen bedeutet, sondern letztlich eine Akzeptanz des Anderen impliziert. Das hierfür zu schaffende Kunstwerk sollte inhaltlich die aktive Auseinandersetzung und Wahrnehmung mit anderen Kulturen bzw. Denkweisen, d.h. das Verschiedenartige als das eigene Leben Bereichernde beinhalten.«
(Quelle: Künstlerische Zeichen für mehr Toleranz, Elke Hergert, Osnabrück 2003)

Abbildung 2: Vor dem Theater – Weitwinkelaufnahme aus der Ferne


Strategien der Abstraktion

Zunächst stellt sich bei einem abstrakten Denkmal die Frage, warum diese Form der Gestaltung gewählt wurde. Schließlich hätte man das Thema der Toleranz auch figürlich darstellen können, oder nicht?
Allerdings wurden figurative Denkmäler häufig von totalitären Regimen und Gesellschaften missbraucht, indem sie Ideologien und Hierarchien verherrlichten. Das Idealbild weicht in der Abstraktion einem wie auch immer gearteten möglichen Bild. Dem gegenüber kann mittels der figürlichen Statue kein umfassender Ausdruck für Toleranz vermittelt werden. Hier entstünde die Gefahr, dass sich Menschen ausgeschlossen fühlten, da nicht alle individuellen Daseinsformen dargestellt werden könnten. Dies führte mehr zu einer Distanzierung des Betrachters, wenn dieser sich als ausgegrenzt wahrnimmt. Die Abstraktion hingegen erhebt die unterschiedlichen Daseinsformen, versinnbildlicht durch die verschieden geformten Metallplatten, auf eine beispielhafte, höhere, allgemeingültigere und abstrahierte Denkweise ohne Wertung und Zuordnung. Die Abstraktion ist für viele Menschen zunächst schwer zugänglich. 


Dies impliziert, dass auch das abstrakte Denkmal selbst zunächst toleriert und anerkannt werden muss. Somit fordert die abstrakte Methode Toleranz von den Menschen, die es betrachten.
 
Ähnlich wie das abstrakte Prinzip ist auch das Individuum häufig nur durch offenes und unvoreingenommenes Betrachten tiefer zu ergründen. Wie empfindet ihr die abstrakte Umsetzung des Themas? Ist diese unpassend, da schließlich auch an ein geschichtliches Geschehnis erinnert werden soll? 

Abbildung 3: Klassizistische bischöfliche Kanzlei

Das Denkmal steht auf dem Vorplatz des Theaters. Die Stadt wollte durch die Ausschreibung des Wettbewerbs nicht nur an den Dreißigjährigen Krieg erinnern, sondern auch den Theatervorplatz umgestalten und verschönern. Das Theater ist in der Art des Jugenstils (s. Abb. 1,2) erbaut worden. Zusätzlich steht das abstrakte Denkmal in unmittelbarer Nähe zum romanischen Dom (s. Abb. 10) und weiter die Hasestraße entlang befindet sich die klassizistische bischöfliche Kanzlei (s. Abb. 3). 

Nach Hergert greift das Denkmal keinen Stil der umliegenden Gebäude auf, sondern ist selbst abstrakt. „…[Die] Skulptur ist weder Dekoration noch optische Verstärkung für die umliegenden Gebäude, sie muss sich ihren eigenen Platz und Raum schaffen […].“ 

Nicht unweit entfernt ist die evangelisch-lutherische Marienkirche zu finden. So liegt der Theatervorplatz zwischen einem katholischen und einem evangelischen Gebäude und markiert die heutige Nahtstelle zwischen dem bischöflichen Wirkungsbereich und der bürgerlich-protestantischen Befugnis. Das Denkmal verbindet so die beiden Konfessionen, die sich im Dreißigjährigen Krieg bekämpft haben, wobei das Denkmal, auf den Dom zu weisen scheint
(s. Abb. 10,11). 

Abbildung 10: ‚Der Fingerzeig auf den Dom?‘


Möchte Bandau eine Nähe zur katholischen Kirche ausdrücken oder lässt sich die Tatsache, dass das Denkmal auf den Dom zeigt, wie ein drohender Fingerzeig interpretieren? Hätte man das Denkmal im gleichen Abstand zu der evangelischen Kirche und dem katholischen Dom aufstellen können/sollen? 

Abbildung 4: Platz der Deutschen Einheit

Offensichtlich scheint der Theatervorplatz ein geschichtsträchtiger Ort zu sein. Der Name des Platzes, an dem sich die Skulptur befindet, ist Platz der deutschen Einheit (s. Abb. 4). Was wiederum nochmals auf die Thematik der Toleranz lenkt. Einheit spielt auf die Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westdeutschland an. Aber nicht nur darauf, denn der Mensch in seiner ganzen Individualität, ausgedrückt durch zwei so unterschiedliche Formen, muss andere Menschen und ihre individuelle Daseinsform akzeptieren, um zu einer Gesellschaft bzw. zu einer Einheit zu wachsen 
- und mehr noch -  damit das Leben miteinander und in aller Verschiedenheit gelingt. 

Wie seht ihr das? Ist diese Interpretation zu weit hergeholt? 

Eine weitere Frage, die sich uns stellt ist die, warum sich Metallhalbkreise auf dem Boden vor dem Theater befinden. Stehen sie in Kontakt mit Bandaus Denkmal? Ergeben auch hier zwei Teile ein Ganzes? 
Aber warum sind diese Teile dann identisch und beziehen sich in ihrer Form nur auf einen Teil der Skulptur? (s. Abb. 5,6)

Abbildung 5: Was sind das für Gebilde vor dem Theater?
Abbildung 6: Runde Platte auf dem Theatervorplatz

Mächtige Massen - Überlegungen zum verwendeten Material

Das Kunstwerk hinterlässt einen schweren und nachhaltigen Eindruck bei dem Betrachter. Dies liegt nicht zuletzt an seiner wahrhaftigen Schwere von 11 Tonnen je Plattenkonstruktion und der Dauerhaftigkeit der verwendeten Materialien (Metall). Die dadurch errungene monumentale Präsenz des Denkmales entspricht auch der Gewichtigkeit des inhaltlichen Themas als solches. 
Die großen schweren Metallplatten wirken beinahe bedrohlich und brutal. Dieser Eindruck wird jedoch durch die fragile, im abstrakten Sinne auch grazile Anordnung (s. Abb. 8) und den thematischen Bezug zurückgenommen. Ebenso wie das Kunstwerk durch Größe und Schwere seinen Platz mit seiner Wirkung einnimmt, so sollte auch immer wieder Raum für Toleranz in der Gesellschaft erkämpft werden. Die Dauerhaftigkeit der Materialien, welche durchaus schwer zu beschädigen sind, verweist darüber hinaus auf die Bedeutung und Notwendigkeit der Zeitlosigkeit dieser Thematik. Gleichzeitig deuten die oxidierenden Materialien (Kupfer und Stahl) auf den Wandel bzw. vielmehr die Entwicklung des Gegenstandes hin. Der Stellenwert, die Bedeutung und die Ziele von Toleranz müssen in einer Gesellschaft immer wieder neu eruiert werden. Darüber hinaus sind Beschädigungen oder Verschmutzungen durch die Oberflächen-Korrosion der Materialien nicht von langer Dauer. Die tafelhafte Beschaffenheit des Denkmales scheint zum Missbrauch durch ‚Beschmierungen‘ einzuladen. Ein zum jetzigen Zeitpunkt (29.05.2013) vorgefundenes eingeritztes, durchgestrichenes Hakenkreuz (s. Abb. 7) wird jedoch alsbald durch den Oberflächenwandel nicht mehr zu sehen sein. Dies spricht für die universelle unvergängliche Bedeutung des übergeordneten Hochziels von Toleranz und Frieden gegenüber den kurzweiligen Einflüssen auf diese. 


Abbildung 7: Eingeritztes, durchgestrichenes Hakenkreuz

Das Denkmal befindet sich im Wandel ist aber dauerhaft präsent. Die Überzeugung vom anhaltenden Frieden, welche eine neue kulturgeschichtliche Errungenschaft für die Gesellschaft ist, die immer neu und abgewandelt definiert werden muss, wird mit der konzeptuellen Zusammenstellung der Figur zum Ausdruck gebracht. Auch die Unterschiedlichkeit der am ‚Balanceakt‘ beteiligten Parteien wird durch Material und Form bzw. dessen eigene Qualität betont und versinnbildlicht. 
Das Stahlstück und die Kupfertafel haben ihre ganz unterschiedliche Dichten und individuelle Oxidationsvorgänge. Während das Kupfer sich mit der Zeit grün färbt, entwickelt die Stahlplatte eine im Farbkreis komplementär angeordnete rotbraune Farbigkeit. Kupfer, welches das weichere Material ist, wird in der rechteckigen harten Form wiedergegeben. Das härtere Stahlstück hingegen umfasst auch die runde weiche Form eines Halbkreises. Mittels dieser ungleichen Qualitäten wir in ihrer abstrakten Verwirklichung eine wertfreie Unterschiedlichkeit postuliert. Unterschiedliche und unter Umständen auch gegensätzlichen Positionen, Vorstellungen, Lebenskonzepte etc. begegnen uns in der Gesellschaft immer wieder. Wie wir mit Heterogenität und Differenzen umgehen ist auch zu großen Teilen eine Frage der Toleranz und inwieweit Toleranz in der jeweiligen Gesellschaft etabliert bzw. thematisiert wird. 

Abbildung 8: sensibles Gleichgewicht

Gleichgewichtsstruktur und Anordnung

„Das tragende Element, der Halbkreis, wird in seiner ausgeprägten Seitenneigung durch das lastende Element, die Kupfertafel, fixiert: tragende [sic!] und lastende Funktionen sind in dieser Konstellation gleichwertig. Nur indem sich beide Teile miteinander verbinden oder verbünden, können sie ein Umstürzen verhindern. Die labile Situation ist jetzt im Gleichgewicht.“ (Zitat Joachim Bandau vgl: Hergert 2003)

Abbildung 9: Aufsatzfläche
Die labil kippende Position beider Metallstücke kann nur durch den gegenseitiger Halt entschärft und ausgeglichen werden. Nur eine kleine konkave Aufsatzfläche (s. Abb. 9) und keine weiteren Halterungen befestigen die Skulptur.

Ähnlich wie bei dem Kontrapost aus der klassischen Bildhauerei geht es um den harmonischen Ausgleich der Gewichte. Die Strategie der perfekten Gewichtung wird auf die Skulptur Bandaus verdichtet. Damit werden die sich gegenseitig bedingenden haltsuchenden Positionen zum ganzheitlichen und anzustrebenden Ideal. Folglich wird der Toleranzgedanke des gegenseitigen Akzeptierens sogar überschritten, indem sich die Zweiheit funktional bedingt und darüber hinaus als perfekte Einheit bzw. “die wechselseitige Durchdringung aller Daseinsformen“ versinnbildlicht wird.

Beide Metallplatten haben ein Gewicht von 11 Tonnen. Hierin besteht trotz aller Verschiedenheit eine grundlegende Gleichheit der Konstruktionsfraktionen. So wie der individuelle Mensch trotz allem ein Mensch bleibt. Ganz gleich welcher individuellen Ausprägung, bleibt der Mensch nach einer aufgeklärten Auffassung der Sinnhaftigkeit des anzustrebenden Toleranzideals unterworfen. Die ebenerdige Präsentation manifestiert den Bezug zum Menschen und der Gesellschaft zusätzlich. Das Kunstwerk begegnet uns auf Augenhöhe und entwickelt durch seine Zugänglichkeit und Größe eine unausweichliche Nähe zum Betrachter.

Abbildung 10: ‚Der Fingerzeig auf den Dom?‘
Abbildung 11: „AGAINST ALL AUTHORITY“

Die Ausrichtung der Platten wurde vermutlich genauestens geplant. Während der Betrachtung fällt uns auf, dass die Kupferplatte sehr deutlich auf den Dom verweist. Geschieht dies mit einer Absicht? Ist das vielleicht eine Art Fingerzeig auf die katholische Kirche? Besonders die katholische Kirche muss sich dem Vorwurf der Intoleranz auch in heutigen Zeiten immer wieder stellen. Durch Zufall verstärkt ein zum jetzigen Zeitpunkt (29.05.2013) angebrachter Aufkleber mit der Aufschrift „AGAINST ALL AUTHORITY“ die Überlegung zusätzlich. Oder will sich dieser gegen den Staat richten, indem er durch öffentliche Gelder finanzierte Kunstwerke kritisiert? Was meint ihr dazu? 

Abb. 12, Gleiches Gewicht - Gleichgewicht in der Maiwoche 2013
Zwischen gestapelten Stühlen und Tischen

Abb. 13, Maiwoche 2013
Ein Kunstwerk, das im öffentlichen Raum steht, steht auch immer im unvermeidlichen Kontakt zu den betrachtenden und agierenden Menschen. Nicht nur das eingeritzte Hakenkreuz und der Aufkleber verdeutlichen dies. Die Fotos vom 8. Mai 2013, als das Gleiche Gewicht samt Gleichgewicht dem Härtetest der Aufbausituation zum Maifest ausgeliefert war, hält den Zustand fest, währenddessen wir unser Referat über Bandaus Kunstwerk halten mussten.
 Wie wird mit einem Kunstwerk umgegangen? Ist der Umgang abwertend für das Kunstwerk oder kann es trotzdem wirken?  

Schafft es sich trotz der ‚Belagerung‘ seinen eigenen Raum? 

Anke Brömmer und Melanie Flack



Abb. 14, Maiwoche 2013

Abb. 15, Maiwoche 2013




1 Kommentar:

  1. Mir ist jetzt gerade beim Betrachten der Bilder aufgefallen, dass die rechteckige Platte ja schon ziemlich genau auf die katholische Kirche weist. Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass dieser deutliche Seitenhieb bewusst gesetzt wurde. Wie ihr schon geschrieben habt, ist die katholische Kirche ja starker Kritik ausgesetzt und das meiner Meinung nach auch zurecht.

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