...und mehr über eine tonnenschwere Bronze zu Osnabrück in der Hase.
Es ist ein heißer Sommertag. Auf dem Weg in die Stadt
überquert man eine Brücke, gegenüber vom Haarmansbrunnen. Ein Blick ins trübe
Wasser der Hase. Genauso gebannt starrt mit uns ein Polizist. Drei Tonnen,
komplett aus Bronze, die Rüstung ist
eine Mischung aus Bereitschaftspolizist und Legionär: Helm, Schild,
Brustpanzer, Gewehr. Und, frivol: er pinkelt. Ins Wasser, vor unseren Augen.
Ein leichtes Schmunzeln huscht über unsere Lippen. Der Blick geht weiter, am
Brückengelände blitzt etwas rot. Ein Knopf. Daneben ein Schild: „Drücken des
Knopfes auf eigene Gefahr und Verantwortung“. Davon lassen wir uns nicht
abhalten, ein schnelles Drücken - und plötzlich kommt uns eine Fontäne
entgegen. Nicht sonderlich hoch, doch erreicht sie zumindest die Fußspitzen.
Was soll das ganze nun? Befinden wir uns vor einem Denkmal,
oder einfach nur einen verrückten Streich eines verrückten Künstlers?
Um das zu beantworten, schauen wir etwas tiefer hinter die
Kulissen. Fernando Sánchez Castillo hat dieses Werk, genannt „Fountainof Wishes“, von den Osnabrückern liebevoll „Mannekin Piss“ oder „Pinkelnder
Polizist“ getauft, entworfen.
Fernando wurde 1970 in Madrid geboren, eine Zeit voller
Unruhen, geprägt durch die von Härte und Brutalität gekennzeichnete Diktatur Francisco Frankos. Das prägte
Fernando für sein Leben. In seiner Kunst untersucht er so die Wirkmacht von
Geschichte, mit Hilfe von Film, Skulptur und Performance.
Nicht außer Acht
lässt er dabei die propagandistischen Mechanismen von Denkmälern und
politischen Mythen. Konkrete Spuren der Vergangenheit sind dabei Ausgangspunkt
seiner Analysen.
Um das verständlicher zu machen: hier als Beispiel eines
seiner berühmtesten Werke: das „Guernica Syndrome“. 2012 wurde es fertig
gestellt und zeigt ein Relikt der jüngsten spanischen Geschichte: die Azor,
eine Freizeit Jacht des, mittlerweile gestürzten, Diktators Fransisco Franko. Sánchez ließ Frankos Diktatur und die brutalen Auswirkungen das Leben in Spanien öfter in seine Arbeit einfließen, z.B. in einem Werk der
Reihe „Colossal“, in dem er ihn, samt Pferd, per Knopfdruck an die Decke eines
Kartoffellagers fahren lässt.
Die Yacht nimmt dabei eine besondere Stellung
ein. Nach Frankos Tod ging sie in die Hände des Staates- doch dieser wollte das
faschistische Symbol schnellst möglich loswerden. 2011 kaufte Castillo die
Yacht und zerlegte sie in eine rostig- braune mehrteilige Skulptur. Mit dem
Werk nimmt er nun Bezug zur Minimal Art und dem Streben nach Logik&
Objektivität- etwas, dass einem historisch emotional aufgeladenen Stück
Geschichte erst einmal entgegen wirkt. Für Castillo ist es ein Stück
Vergangenheitsbewältigung und zeitgleich eine Verdrängung der ehemaligen
Glorifizierung dieses Stücks Geschichte.
Genug der Abschweifung, nun zu unserem eigentlichen Gebiet
des Interesses. Die „Fountain of Wishes“ beziehungsweise dem „pinkelnden Polizisten“.
Warum steht er hier, mitten im Fluss und
pinkelt fröhlich vor sich hin?
Der Polizist ist
ein Ausstellungsstück im Projekt „Colossal“. 2009- 2011 stellten 20 Künstler auf
120 km im Osnabrücker Land ihre Werke aus – in Museen, Hallen, Höfen und
Ställen. Thema war: 2000 Jahre Varusschlacht.
Die
Varusschlacht, auch Hermansschlacht genannt, fand im Jahre 9 n. Chr. statt. Drei römische
Legionen, samt Truppen und Tross, unter ihrem Anführer Varus erlitten in
Germanien eine vernichtende Niederlage gegen ein einziges Heer des germanischen
Armenius (Hermann). 1/8 des Gesamtheeres des gesamten römischen Reiches wurde
vernichtet. Dies war das Ende der römischen Versuche, das Gebiet östlich der
Elbe zu besetzen.
Castillo
erarbeitete 4 Werke für dieses Kunstprojekt, zu finden im Schafstall Bad Essen
(Franko samt Ross stößt an die Decke), auf einem Hof in Bohmte, in Kalkriese
(im Museum der Varusschlacht, Franko samt Ross versunken im Boden) und- der
pinkelnde Polizist in Osnabrück.
Der Polizist
war zur Zeit der Ausstellung nicht das einzige Kunstwerk- dazu gehörten eine
Ausstellung im Felix Nussbaum Haus und die sich drehende Trommeln am
Hauptbahnhof, immer noch dort zu finden.
Während der
Colossal Ausstellung stand der Polizist zwar schon in der Hase – jedoch eine
Brücke weiter, hinter dem Carolinum Gymnasium.
Verantwortlich
dafür, dass das Werk noch in Osnabrück zu finden ist und auch versetzt wurde,
ist die Herrenteichlaischaft. Die Laischaften entstanden im Mittelalter und
waren eine Art Bürgerzusammenschließung. Osnabrück hatte davon 8 Stück. Sie
stellten ihre eigene Feuerwehr, den Nachtwachdienst, sorgten für Sauberkeit,
bauten Straßen, stellten Laternen auf- und kümmerten sich allgemein um die
Wünsche und Interessen der Bürger. Grund für den Erfolg der Laischaften war die
Weidewirtschaft, denn diese war für die Selbstständigkeit von Osnabrück
verantwortlich. Osnabrück war stark landwirtschaftlich geprägt, die Weiden
gehörten den Bürger- und so wurde mit dem Export von Getreide, Milchvieh etc.
viel Geld gemacht. Dadurch, dass die Laischaften wuchsen, wurden den Domherren,
Stiftsherren usw. von den Bürgerschaften immer mehr Entscheidungen und
Verantwortlichkeit entzogen. Eine Emanzipation des Bürgertums begann.
Heute erinnern
noch Straßennamen wie der „Schnatgang“ (plattdeutsches Wort für Grenzgang),
Laischaftsstraße und die Stammkneipe der Hegerlaischaft „Olle Use“ (ein
Begrüßungsspruch).
Zwei der
Laischaften gibt es auch noch heute. Gerade die Herrenteichlaischaft setzt sich
in besonderem Maße für die Instandhaltung und Ausstellung politisch wertvoller
Kunstwerke in Osnabrück ein. Sie ist dafür verantwortlich, dass der „pinkelnde
Polizist“ nun, seit Anfang 2012 und damit Ende der Colossal Ausstellung,
gegenüber vom Haarmannsbrunnen steht- und damit mehr in das Blickfeld der
Öffentlichkeit gerät. Gekauft wurde er für 45.000 € von der
Herrenteichslaischaft und dem Modehaus L&T, welches auch in der Nähe des
Werkes zu finden ist. In dessen Händen liegt auch die Instandhaltung. Warum
L&T dafür Verantwortung übernommen hat, ist unbekannt.
So wirft der
Polizist Fragen auf: „Wer übernimmt Verantwortung für sein Tun?“ ist
sozusagen sein Motto. Und warum heißt das Kunstwerk „Fountain of Wishes“? Ist
der rote Knopf also ein „Wunschknopf“? Wieviel Wünsche können Bereitschaftspolizisten erfüllen?
Statt dass sich der Wunsch erfüllt, wird
man angepinkelt.
Wieder ist der Polizist seinem Motto treu - kümmert euch selbst
um eure Sachen, lasst eure Wünsche selbst in Erfüllung gehen, anstatt andere
darum zu bitten.
Den Hintergrund
des „pinkelnden Polizisten“ kennt heutzutage kaum noch ein Bürger. Für sie ist
die Figur vor allem ein großer Spaß – Abkühlung im Hochsommer. Zumindest für
die, die den unscheinbaren Knopf entdecken.
Wir werden deswegen ein Plakat aufstellen: „Ich bin „Fountain of Wishes“, „Wunschbrunnen“.Drück den Wunschknopf. Na?“
Wir hoffen, den
Knopf, das Werk, damit wieder in den richtigen Zusammenhang zu stellen- so dass
sich hoffentlich mehr Bürger Gedanken zum bronzenen Bereitschaftspolizistenbrunnen machen. Oder sie eben einfach nur naß gemacht werden.
Annika Elmers und Ronja Westerhoff
für Erinnern und Vergessen
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