Prinzipalmarkt Münster, Gegenwarten, Ulrich Haarlammert, Kriegszerstörter Prinzipalmarkt 1948 / 21. Juli 2013 |
Die Gemäuerkanten der Arkaden und der Lambertikirche setzen sich über 65 Jahre und einen weißen Blitzer hinweg. Einfach so.
Aus dem Postkartengrau der wiedererstehenden desaströs demolierten Stadt Münster schreitet ein Mann mit Hut und Schlips über das Kopfgestein, nebst den noch unbeseitigten Trümmern des Bombenkrieges. Der historische Verfolger ahnt nichts von der blauen Schönheit, die zu erreichen, ihm nur durch eine ungeheure Beschleunigung in mehrfacher Lichtgeschwindigkeit möglich sein würde. Er kann nicht sehen, was wir wissen - sie kann nicht ahnen, dass wir sie sehen.
Und alles was wir jetzt denken, sehen, fühlen, unterliegt unserer persönlichen und privaten Konstruktion von Raum und Zeit, die Ulrich Haarlammert im Projekt GEGENWARTEN facettenreich und trans-dimensional neu zu bestimmen versteht. Geschichte und Geschichten unterliegen einer Identitätsbestimmung des Raumes, den der Künstler absteckt und portraitiert.
Die Ausstellung heißt GEGENWARTEN in Stein - Bilder aus Fotos und Zeit. Im Kontext des Seminares ERINNERN UND VERGESSEN möchte ich einen Besuch des Sandsteinmuseums in Havixbeck empfehlen, die noch bis zum 20. Oktober 2013 dort zu sehen ist.
Es sind nur Bruchteile einer ganzen Sekunde, die den richtigen Moment ausmachen, den es einzufrieren gilt. Das ist der Job des Fotografen. Diesen Augenblick dann wiederum auf eine kalkulierte Zeitreise zu schicken, ist Teil des Konzeptes GEGENWARTEN von Ulrich Haarlammert, der mit Bildern aus Fotos und Zeit, Räume portraitiert, die sich über ihren Zeitkontext hinwegsetzen und eine eigenständige transepochale Wirklichkeit generieren können.
Haarlammerts Prinzipalmarkt setzt sich über die Fesseln des Allzuaktuellen und die Sklaverei des Jetzt hinweg. Was jetzt ist, kann gleich schon gestern oder morgen gewesen sein. Haarlammert präpariert die trans-temporären Eigenschaften des Raums durch ein künstlerischen Blick auf die kalkulierten Koordinaten der Augenblicke, die er zu einer Zeitcollage legiert.
Die möglichen Potentiale des verarbeiteten Raumes in Tag oder Nacht, Sommer oder Winter, in Krieg oder Frieden zu trennen oder zu teilen, begrenzen den Raum selbst in seiner zeitlichen Dimensionalität ein. Haarlammerts Collagen reflektieren dabei den Ort nicht alternativ sondern kummulativ.
Aus oder wird und , und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beschreibt den absichtvollen Emanzipationsprozess des Raumes aus dem Käfig nur einer definierten Zeitlichkeit.
Der Raum wird als ein überzeitliches und heterokonstantes Kontinuum sichtbar - als eine Konstruktion in seiner historischen wie überhistorischen Wirkung von Wirklichkeit....
Man beginnt sich schnell zu versteigen, in dem wohlkalkulierten Assoziationspotential, das Haarlammerts Fotografien auslösen. Ich empfehle ausdrücklich einen transgenerativen Besuch der Ausstellung. Man nehme seine Eltern oder Kinder mit, denn die erinnerte Zeit sieht mit, wenn das blaue Kleid durch sie zu fliegen beginnt. Und gemeinsam konstruieren sich die Variabeln der Wahrnehmung leichtfüssig durch den Schwermut der Zeit und seiner aufgeschichteten vergessenen Erinnerungen.
In diesem Sinne einen guten Start in das neue Semester
Ruppe Koselleck
für ERINNERN UND VERGESSEN
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