Montag, 2. September 2013

Meine Kunst ist Kunst zum anfassen

Thema des Beitrags ist der 1980/81 durch den Aachener Künstler Bonifatius Stirnberg errichtete sogenannte Ständebrunnen. Er zeigt die drei historischen Landstände Osnabrücks und erinnert an das 1200jährige Bestehen der Stadt Osnabrück.

Fast jeder Osnabrücker kennt ihn und nimmt ihn doch nicht wahr. Im Vorbeigehen sehen die Passanten einen Brunnen, der durch sechs Personen geschmückt wird. Aber kaum einer kennt seinen Namen oder die Geschichte, die er erzählt. Nur wer stehen bleibt und die Inschrift rund um den Brunnenrand entziffert, kommt seiner Bedeutung auf die Spur:

ZUM 1200-JÄHRINGEN BESTEHEN VON BISTUM UND STADT OSNABRÜCK GESTIFTET 1980 ZUR ERINNERUNG AN DIE DREI HISTORISCHEN LANDSTÄNDE DOMKAPITEL ADEL UND BÜRGERTUM DIE FIGUREN UND IHRE KLEIDUNG SIND NACH VORLAGEN AUS DEM 17. JAHRHUNDERT GESTALTET.

Der Brunnen trägt den Titel „Ständebrunnen“. Die sechs Figuren, die auf ihm errichtet wurden stehen stellvertretend für die drei historischen Landstände: Die Bürger, den Klerus und den Adel.

Der Künstler Bonifatius Stirnberg inszenierte von links nach rechts einen evangelischen Pastor, eine bürgerliche Familie, bestehend aus Mann, Tochter und Frau, einen katholischen Bischof auf seinem Bischofsstuhl und einen Angehörigen des Adels bzw. des Ritterstands.




Gleichzeitig erinnert der Brunnen an die Geschichte der 1200jährigen Geschichte der Stadt Osnabrück, die untrennbar mit der Geschichte der Kirche verbunden ist. So heißt es, dass Karl der Große im Jahr 780 n. Chr. in Osnabrück den Grundstein für den heutigen Dom St. Peter legen ließ. 1200 Jahre bevor die Stadt diesen Brunnen in Auftrag gab.

Nach den technischen Daten zum wasserführenden Kunstwerk, fasse ich augenfällige Merkmale und Strategien des Künstlers zusammen und verorte schließlich den Brunnen in seinem städtischen Gefüge.

Technische Daten des Kunstwerkes

Aufstellungsdatum: 1981 Ort: Vorplatz St. Johann, Osnabrück
Material: Bronze
Künstler: Bonifatius Stirnberg
Stifter: Die landschaftliche Brandkasse Hannover, Osnabrücker Landschaft, Pfarrgemeinde St. Johann, Industrie- und Handelskammer, Stadtsparkasse Osnabrück, Bürger und Kaufleute
Anlass: 1200 jähriges Jubiläum von Kirche und Stadt Osnabrück


Künstlerische Merkmale

Bei dem Großteil von Stirnbergs Werken handelt es sich um Brunnen. Die Gestaltung ist dabei immer figural und an realistischen Merkmalen orientiert. Gleichzeitig „dekoriert“ er seine Werke mit Ornamenten, wie dem Rad. Im Fall des Ständebrunnens wird dies nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, an das Osnabrücker Stadtwappen angelehnt. Dafür spricht, dass er dieses Symbol auch in anderen Werken, mit älterem Entstehungsdatum, verwendet. Der Betrachter vermag in seinen Werken eine fast spitzbübische, postmoderne Ironie entdecken, die sich vor allem aus der Komposition der Figuren zueinander ergibt.



Besonderes Markenzeichen seiner Brunnen ist die Beweglichkeit, die den Betrachter zur Interaktion einlädt. Somit wird dieser zum Mitgestalter von Stirnbergs Kunst und tritt mit dieser in Dialog. Stirnberg selbst: „Meine Kunst ist Kunst zum Anfassen“. Seit dem „Puppenbrunnen“, der 1975 in Aachen errichtet wurde sind alle Figuren, ob Menschen oder Tiere mit beweglichen Gelenken versehen, die vom Betrachter verstellt werden können. Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Umsetzungsmöglichkeiten durch technische Fortschritte weiter, was ihn aber auch vor neue gestalterische Herausforderungen stellt. Diese Art der Umsetzung war bis dahin einmalig.

Verortung des Denkmals im öffentlichen Raum

Der Ständebrunnen steht vor der ehemaligen Stiftskirche St. Johann. Wie aus dem Namen bereits hervorgeht, symbolisiert dieser die drei Stände, das Bürgertum, den Adel und den Klerus. Stirnberg greift mit seinem Brunnen eine Osnabrücker Besonderheit auf. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt Osnabrück abwechselnd von katholischen Bischöfen und dem evangelischen Landesherrn des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg regiert.
Der Künstler greift diese konfessionell-paritätische Besonderheit der Stadtgeschichte auf und inszenierte sowohl einen evangelischen Pastor, wie auch einen katholischen Bischof in historischem Gewandt.

Es verwundert, dass daher das Denkmal nicht im historischen Stadtkern zwischen den Hauptkirchen der beiden Konfessionen – St. Marien und dem Dom St. Peter – errichtet wurde, sondern vor St. Johann. Dies dürfte auf den Mangel eines geeigneten Platzes zurückzuführen sein, der die Errichtung zwischen den Kirchen ermöglicht hätte.

Öffentliche Meinungen

„Schönes Wasserspiel nach Spendenfluss“, so titelte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ am Tag nach der Einweihung des Brunnens – als Anspielung auf die 51000 Euro, die für die Anschaffung bereitgestellt werden mussten. Zusätzlich hat der Rat der Stadt Osnabrück im vergangenen Jahr einen Betrag von 12.500 Euro zur Sanierung des Brunnens bereitgestellt. Der Gesamtetat zur Instandhaltung der Brunnen in der Stadt Osnabrück betrug in diesem Zeitraum 368.000 Euro.


Die Kunstwelt streitet immer wieder darüber, ob es sich bei den strittigen Werken Stirnbergs tatsächlich um Kunst handelt. Fest steht, dass er mit seiner Umsetzungsform der beweglichen Puppen eine gänzliche neue Idee umsetzte. Ein wesentlicher Nutzen, der durch den Brunnen verkörpert wird, darf jedoch durch diese Kunstdiskussion nicht verdrängt werden. Der Brunnen präsentiert in interaktiven Elementen anschaulich ein historisches Thema, dass nicht nur durch die Nässe des Brunnenwassers in seiner Trockenheit aufgeweicht wird. Es ermöglicht sowohl jung als auch alt einen handlungsorientierten Zugang zum Themenfeld und eröffnet dadurch eine didaktische Vielfältigkeit, die auch im Unterricht eingesetzt werden kann.

Eva-Maria Olschimke
für ERINNERN UND VERGESSEN 

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